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Über Kurz oder lang...

Erinnerung an einen Konzertbesuch in Wien: Zufällig führt an einem Samstagnachmittag in Wien mein Weg am klassizistischen Prunkgebäude des Konzertvereins vorbei (dessen Goldener Saal dem internationalen TV-Publikum von den Neujahrskonzerten der Wiener Philharmoniker her bestens bekannt ist). Auf dem Programm standen die drei letzten Mozart-Symphonien. Was für ein Glücksfall! Schnell den Ablauf des Nachmittags umorganisiert – und hin zur Kartenausgabe und zur Kasse. Leider ausverkauft, restlos… bis auf ein paar wenige Stehplätze. Also schickt man sich in die Unannehmlichkeit und steht bald irgendwo zuhinterst im Saal hinter Säulen unter der Empore und sieht – gar nichts. Aber es gibt Hoffnung. Oben auf der Galerie ist eine leere Loge zu erkennen, und nach der ersten der drei letzten Symphonien steht sie immer noch leer. Also in der Pause schnell hinauf, die Szene überguckt, und, ja: Als der Dirigent schon fast den Taktstock hebt zur zweiten der drei letzten, ist die Loge immer noch vollkommen verwaist. Deshalb schnell und verstohlen hineingehuscht! Aber, Unheil… Mit dem ersten symphonischen Tutti steht plötzlich der Saalordner in „meiner“ Loge und komplimentiert mich hinaus mit einem Blick voller Verachtung. Ich versuche zu erklären, dass nur noch ein Stehplatz erhältlich gewesen sei von einer Qualität, die die ganze Freude raubt. „Sie hobn mich ned gfrogt“, ist der einzige Kommentar in seinem leicht nasalen Wienerisch, den seine ungeschmälerte Verachtung für mich übrig hat.

Jetzt wurde mir klar, worin mein Fehler lag. Ich habe in meiner Not eine kleine Schummelei versucht ohne ihn, den Herr der Logen, zu „schmieren“. Zwanzig Euro hätten gereicht, und Mozarts vorletzte und die letzte, die „Jupiter“, hätten meinen Musikgenuss vollendet an diesem Samstagnachmittag. Als biederem Schweizer, dem es fremd ist, dass man Beamte „schmiert“, habe ich so reagiert, wie wir das bei uns gewohnt sind.

Der Umgang mit einer Kultur, in der mit einer Schamlosigkeit sondergleichen die eine Hand die andere wäscht, ist uns nicht geläufig. In unserem östlichen Nachbarland kennt man sich aus damit. Die vermeintlich „hohe“ Politik, die in den letzten Jahren dort betrieben wurde, ist eine geschlossene Reihe von Pleiten, Pech und Pannen, ein immer wieder gescheiterter Hochseilakt der Korruption, der Absturz um Absturz erzeugt hat. Aber es gehört zu dieser Kultur und ihrer politischen Nonchalance, dass die Fallhöhe gering ist und das Auffangnetz elastisch. Heinz-Christian Strache, ehemaliger Vizekanzler von der rechtspopulistischen FPÖ, stolperte im Mai 2019 über die sogenannte „Ibiza-Affäre“: heimlich gefilmt offenbarte er seine Bereitschaft, ja seine Lust an der Bestechung einer angeblichen russischen Oligarchin in einer Weise, die seine politischen Karriere in jedem wirklichen Rechtsstaat definitiv hätte zerstören müssen. Die Lockerheit, mit der er sowohl dem zur Last gelegten Tatbestand wie seiner Verurteilung (15 Monate bedingt) begegnet, ist geradezu exemplarisch für den Schmäh, wie in Österreich die Politik den Grosskonzernen zuarbeitet.

Sebastian Kurz von der Österreichischen Volkspartei, Kanzler, damaliger Koalitionspartner Straches und dessen Chef, empörte sich gemeinsam mit der Öffentlichkeit. Er kriege „gleich das Kotzen“, schimpfte er in die Kameras, nahm aber gleichzeitig das Zerbrechen der Regierungskoalition ganz entspannt zur Kenntnis. Er wusste: Je glaubhafter seine Empörung über die Bildschirme ging, desto gewisser war ihm die Bestätigung seiner Kanzlerschaft nach den bald angesetzten Neuwahlen, einfach im Rahmen einer neuen Koalition. Die Grünen gaben sich her dazu.

Nun hat es Kurz selber erwischt. Die Glaubwürdigkeit seiner Empörung mag wohl bezüglich der Dummheit, mit welcher Strache sich erwischen liess, ehrlich gewesen sein. Bezüglich der ethischen Standards, die er an seine eigene Politik legt, ist sie nichts als peinlich. Kurz gilt als überführt, dass in der Boulevardpresse Meinungsumfragen und politische Kommentare zu seinen Gunsten geschönt wurden – und zwar gegen Bezahlung aus Staatsgeldern. Er musste als Kanzler zurücktreten, nachdem ihn seine Koalitionspartner fallen gelassen und eine „untadelige Persönlichkeit“ im Kanzleramt gefordert hatten. Dadurch seiner politischen Handlungsfähigkeit beraubt, hatte er der Rücktrittsaufforderung durch Bundespräsident Van der Bellen nichts entgegen zu setzen. Eine polizeiliche Hausdurchsuchung im Kanzleramt und die Bekanntwerdung des Austauschs inkriminierender Kurznachrichten ist selbst für die österreichische Öffentlichkeit nicht vereinbar mit der Würde seines Amtes. Es war, über Kurz oder lang, nichts als eine Frage der Zeit.

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