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Wenn einer eine Reise tut

Weitgereisten Menschen hört man gerne zu; sie haben etwas zu erzählen. Boris Johnson, von 2019 bis 2022 britischer Premierminister, zählt dazu, war sein Job doch, Schlag auf Schlag, mit intensiver Reisetätigkeit verbunden. Leider erzählt Boris nicht so gerne von einschlägigen Begebenheiten, vor allem nicht von denjenigen, an welchen die Öffentlichkeit besonders interessiert wäre. Wie viele Politiker wird auch er zeitweise von einer erstaunlichen Gedächtnisschwäche heimgesucht. Insbesondere gab es zahlreiche Reiseaktivitäten mit dem Ziel des Fundraisings, zunächst für sein grösstes politisches Projekt, den Brexit, an die er sich nur schlecht erinnern kann. Auffallend häufig führten seine Reisen ihn und seine Berater einerseits nach Kiew, andererseits nach Südostasien, wo ein Freund namens Christopher Harborne zu Hause ist, der – gemäss WELTWOCHE – „vielfältigen Interessen von Kryptowährungen bis Militärtechnik» nachgeht. Um es etwas weniger nebulös zu sagen: Harborne ist Waffenhersteller und beliefert die Ukraine seit Kriegsbeginn mit Drohnen.

Er scheint ein smarter Geschäftsmann zu sein und genau zu wissen, welche politische Kraft er sinnvollerweise fördern sollte. Harborne investierte 10 Millionen Pfund in das Brexit-Projekt von Nigel Farage und trug in seiner Spendierhose viel zum überraschenden Erfolg anlässlich des Plebiszits vom 23. Juni 2016 bei. Johnson war damals Aussenminister des Vereinigten Königreiches in der Regierung von Theresa May und weibelte für die Sezession aus der EU so intensiv, wie sein Amt das hergab. Seinem nationalistischen Populismus war Erfolg beschieden: Er wurde Chef der Konservativen Partei und am 25. Juni 2019 von der Queen zum Premier ernannt. Die von ihm fünf Monate später herbeigeführten, vorgezogenen Unterhaus-Wahlen bescherten den Tories die Parlamentsmehrheit, was sich bei den nachfolgenden Querelen um die Finalisierung des Brexit als sehr vorteilhaft erwies. Gut, dass sich auch hierin der reiche Onkel aus Thailand spendenfreudig zeigte.

Und gut war – für Johnson – ebenfalls, solch zuverlässige Freunde um sich zu wissen. Johnson, der bereits zu Regierungszeiten immer wieder für einen Skandal gut war (wir erinnern uns an den sogenannten «Party-Gate»), nutzte sein als Premier gesponnenes Beziehungsnetz ziemlich schamlos, um bei allerlei zweifelhaften Persönlichkeiten für persönliche Zwecke die hohle Hand zu machen, etwa in Venezuela bei Nicolas Maduro oder beim saudischen Kronprinzen und mutmasslichen Kashoggi-Mörder Mohammed bin Salman.

All diese Informationen verdanken wir – ein Hoch auf den britischen Recherchierjournalismus – einem längeren Artikel des GUARDIAN vom 10. Oktober 2025, Quelle waren offenbar einige Indiskretionen, weshalb im GUARDIAN von den «Boris-Files» die Rede ist. Eine Sache bei all seinen schmierigen Aktivitäten sei Johnson aber «heilig» gewesen, was wohl heissen soll, dass idealistische und nicht monetaristische Erwägungen im Vordergrund standen. Gemeint ist die britische Aussenpolitik im Verhältnis zur Ukraine.

Wir erinnern uns: Im Frühling 2022, wenige Wochen nach Kriegsausbruch, lag ein in Istanbul ausgehandeltes Friedensabkommen unterschriftsreif vor, das der Ukraine weit vorteilhaftere Bedingungen gewährt hätte, als diese nach heutigem Stand je erreicht werden könnten – und das nur um die Garantie der ukrainischen Neutralität. Ganz abgesehen davon, dass Hunderttausende Menschen auf ukrainischer und auf russischer Seite noch leben würden, wären die Unterschriften auf dieses Blatt gesetzt worden. Wer letztlich den Anstoss zur Torpedierung des Abkommens gab, war Boris Johnson. Als die Weltöffentlichkeit bereits mit der Hoffnung auf einen Frieden geflirtet hatte, tauchte Boris im April 2022 unvermutet in Kiew auf und beschwatzte Wolodimir Selenski (zweifelsfrei nach Rücksprache mit Joe Biden), keinesfalls zu unterschreiben, sondern einfach «weiter zu kämpfen». Was er ihm dafür versprach, wissen die Götter; Boris selbst kann sich nicht erinnern. Überliefert ist (laut GUARDIAN) nur Selenskis Diktum, „seit den ersten Stunden des Krieges unterstütze Boris Johnson die Ukraine aufrichtig und helfe bei der Verteidigung gegen die russische Aggression“, und dann, in direkter Rede: „Und jetzt leistet er der Ukraine weiterhin internationale Unterstützung. Danke für deine Energie, Freund!“

Der Kern der «Boris-Files», die jetzt der GUARDIAN aufgearbeitet hat, besteht darin, dass Christopher Harborne dem Ex-Premier eine Million Pfund überwiesen habe, und zwar zur Anschubfinanzierung einer privaten Firma von Boris Johnson, des „Office of Boris Johnson Ltd.». Überdies berichtet der GUARDIAN, passend zu dieser Finanzspritze, von mehreren klandestinen Treffen von Johnson mit Harborne in Singapur und der Ukraine. Einmal, am 9. September 2023, seien sie in Kiew mit hochrangigen Persönlichkeiten aus der ukrainischen Wirtschaft, Armee und Politik zusammengekommen. Wobei betont wird, von westlicher Seite seien nur «Boris und Chris» zugegen gewesen. Leider schweigen sich sämtliche Quellen darüber aus, welches die Gründe und Themen dieses Meetings gewesen seien. Und die Direktbetroffenen? Siehe oben.

Das alles ist von äusserster Brisanz. Weshalb? Seit dem Artikel im GUARDIAN steht der Verdacht im Raum, Boris Johnson habe Selenski deshalb beschworen, die Unterschrift unter den Friedensvertrag zu verweigern, weil die Interessen seines Spezis Mäzens, des Waffenproduzenten Harborne im Raum standen. Denn eine Unterzeichnung hätte zukünftige Drohnenlieferungen Harbornes an die Ukraine torpediert.

Dieser Verdacht ist massiv. Würde er zutreffen – und wir zweifeln nicht an der seriösen Recherche des GUARDIAN –, dann wäre Boris Johnson mitschuldig am Tod von Hunderttausenden, die seither für nichts und wieder nichts gestorben sind. Und mitschuldig an der Zerstörung der Ostukraine sowie am massgeblich schlechteren Friedensvertrag, den es irgendwann geben und der die Teilung der Ukraine beinhalten wird.

Wird es je ein Verfahren geben, das Licht ins Dunkel bringt? Selbstverständlich nicht. Wird je die westliche Presse (ausserhalb Englands) darüber berichten? Ebensowenig, erinnern wir uns nur an Tony Blair, der, zusammen mit George W. Bush, der Welt etwas von Massenvernichtungswaffen im Irak vorschwafelte. Nur die Betroffenen, die vielfach in geheimer Mission durch die Welt gereist sind, könnten etwas dazu erzählen.

 
 
 

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