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Morgenthau 2.0

Als sich Franklin D. Roosevelt, 32. Präsident der USA, in den ersten Februartagen 1945 mit seiner Entourage anschickte, zur Konferenz von Jalta ans Schwarze Meer zu reisen, gab ihm sein Freund und Finanzminister Henry Morgenthau ein ganz besonderes Dossier mit. Morgenthau war sich zwar bewusst, dass das Projekt, das es beschrieb, keine grosse Zukunft hatte. Aber es schien ihm durchaus einen Versuch wert, es noch einmal zur Diskussion zu bringen. Der amerikanische Finanzminister hatte nämlich in der zweiten Hälfte des Jahres 44 die Idee entwickelt, die Frage nach der Nachkriegs-Zukunft Deutschlands dahingehend zu gestalten, dass Deutschland entmilitarisiert, deindustrialisiert, aufgeteilt und in mehrere agrarisch strukturierte Teilstaaten verwandelt werden sollte. Morgenthau, dessen Name die jüdische Abstammung offenbart, hatte keinerlei Skrupel, mit Deutschland unzimperlich umzugehen. Es habe sich durch das Nazitum ausserhalb der Reihe der Kulturnationen platziert und verdiene es, zukünftig in Armut zu leben.

Tatsächlich war Morgenthaus Plan im Gespräch der «big three» (Roosevelt, Churchill, Stalin) chancenlos, wiewohl er bei Stalin auf eine gewisse Sympathie stiess. Stalin wollte Deutschland auf gnadenlose Reparationen verpflichten; er hat in der Folge ja aus «seiner» Besatzungszone in grossem Stil Industrieanlagen nach Russland abgeschleppt (wo sich ihr Wiederaufbau allerdings als so kompliziert gestaltete, dass die gigantischen Materialmengen irgendwo zwischen den sowjetischen Geleisen verrotteten). Churchill aber, als Brite stets der Idee des Gleichgewichts verpflichtet, lehnte den Plan kategorisch ab. Er hätte Europa zu Lasten der USA und der Sowjetunion zu sehr geschwächt. Und überdies wiesen aufsteigende Interessenskonflikte zwischen der UdSSR und den westlichen Partnern der Allianz bereits auf den kommenden Kalten Krieg hin, was es nicht ratsam erscheinen liess, Deutschland zu einem Macht-Vakuum umzugestalten, weil dieses linksdiktatorische Kräfte hätte anziehen können. Die Sowjets sollten kein Vakuum vorfinden, das sie ansaugen würde. –

Szenenwechsel. 80 Jahre danach, in den letzten Tagen unserer Gegenwart, sind in Polen und in Italien zwei – ukrainische – Verdächtige verhaftet worden, denen aufgrund zahlreicher Indizien die Verantwortung für den Terrorakt auf die Gaspipelines Nordstream 1 und 2 zur Last gelegt werden. Wir erinnern uns: im September 2022, ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn in der Ukraine, waren die Pipelines auf dem Nordsee-Grund gesprengt worden, was Deutschland – und viele andere europäische Länder – von einem Tag auf den andern vom Bezug russischen Erdgases abgekoppelt hatte. Grosses Aufatmen in der deutschen Bundesanwaltschaft! Endlich ein Fahndungserfolg! Endlich würde man die Täter zur Rechenschaft ziehen und erklären können, was sich drei Jahre zuvor zugetragen hatte.

Sollte man meinen. Aber nichts dergleichen geschieht. Polen erklärt, die Auslieferung der Verdächtigen sei nicht in «nationalem Interesse», und ähnlich tönt es aus Italien. Seltsam. Und noch eigenartiger: Die deutsche Regierung von Friedrich Merz nimmt die Botschaften aus dem befreundeten Ausland regungs- und kommentarlos entgegen. Was nichts anderes bedeutet als: Man will die mutmasslichen Täter gar nicht. Man hat kein Interesse an der Aufklärung des Falles. Zwar hatte Deutschland beim Bau der Pipelines vier Milliarden Euro investiert, aber wen interessiert das schon heute noch. Streichen wir doch einfach für Bedürftige die Pflegestufe 1, dann haben wir das Geld wieder beisammen.

Der Vorgang ist einzigartig, skandalös, im Grunde kaum in Worte zu fassen. Weder die deutsche Bundesregierung noch die deutsche Staatsanwaltschaft hat ein Interesse, Licht ins Dunkel zu bringen, was als logische Konsequenz nur einen Gedanken zur Folge haben kann: Alles, was die Spatzen von den Dächern pfiffen, ist wahr. Die absolut lächerliche These, die Russen hätten ihre eigene Gasleitung gesprengt, ist definitiv ad absurdum geführt. Also kamen die Täter aus dem Lager befreundeter Nationen. Entweder direkt aus den USA – wo man am meisten profitiert, weil man wieder auf Rang 1 des globalen Energiemarkts katapultiert wurde – oder, je nach Handlungsanweisung aus Washington, durch ukrainische Ausführungskommandos. Vollkommen undenkbar wäre aber, dass ukrainische Militärs aus eigener Regie die Sprengung vollzogen hätten. Erstens wäre das aus technischen Gründen kaum möglich gewesen, und zweitens war und ist die Ukraine in solchem Mass von den USA abhängig, dass man sich solcherlei aus politischen Gründen keinesfalls getraut hätte.

Wir erinnern uns: Bereits vor Kriegsausbruch hatte der damalige Präsident Joe Biden klipp und klar erklärt, dass die USA Nordstream kappen würden; «wir haben die Möglichkeiten dazu». Kanzler Olaf Scholz stand direkt daneben und lächelte verlegen-säuerlich. Es kam, wie es kommen musste. Seither zahlt die deutsche Industrie das Drei- oder Vierfache der Energiepreise von damals. Die deutsche Industrie ist auf dem internationalen Markt nicht mehr konkurrenzfähig. Die Amerikaner saugen deutsche Unternehmungen ab. Old Joe Biden hatte, was er wollte: Die europäischen Staaten wieder fest in Abhängigkeit, die transatlantischen Reihen geschlossen.

Seither hat sich nicht die Abhängigkeit gewandelt, sondern die politische Führung in den USA. Auf Biden folgte Trump, welcher der EU und Europa eiskalt begegnet und alle Signale sendet, dass er plane, diese Abhängigkeit in ganz anderer Weise als sein Vorgänger zu nützen. Leider haben das die europäischen Staatschefs, Merz, Starmer, Macron, – so scheint es – noch nicht bemerkt. Ihre einzige politische Strategie besteht darin, um die Gunst von Trump zu betteln und um Gnade zu winseln. Nichts aber deutet daraufhin, dass dieser sich erweichen liesse. Im Unterschied zu Biden hat Trump erkannt, dass der Kalte Krieg vorbei ist. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass er nicht in den (West-)Europäern Partner auf Augenhöhe sieht, sondern in Putin. Dort locken die Deals. Wenn aber der Kalte Krieg Geschichte ist, dann gibt es kein Interesse mehr, (West-)Europa – und insbesondere die Bundesrepublik – auch nur einigermassen stark zu halten. Dann können wir getrost zurück gehen zu den Nachkriegsplänen und zu Henry Morgenthau, Version 2.0. Churchill ist tot. Deutschland deindustrialisieren? Just go for it!

 
 
 

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