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Solche Sorgen möcht' ich haben...

Joseph Ratzinger (Benedikt XVI.) ist tot und von seinem Nachfolger Jorge Bergoglio (Franziskus I.) husch husch in einer Nische der Vatikansgruft beigesetzt worden, nämlich in derjenigen, die durch die Heiligsprechung des Polen Karol Woityla (Johannes Paul II.) frei geworden ist, weil ihm als Heiligem eine Kapelle mit Tageslicht zusteht. Es scheint, als ob der Franziskaner den Benediktiner möglichst schnell entsorgt haben wollte, um die Bedeutung des verblichenen bayrischen Pontifex maximus für die katholische Welt flach zu halten. Die Begegnung der beiden wurde nie zum Beginn einer langen Freundschaft.

Nachdem Ratzinger im April 2005 zum Papst erhoben worden war, nahmen wir noch eine reisserische BILD-Schlagzeile zur Kenntnis («WIR SIND PAPST!»), aber dann wurde es ruhig. Ratzinger tauchte nie wirklich aus den staubigen Folianten der theologischen Literatur auf. Das Leben war nichts für ihn. Er gab sich, entsprechend seiner geistigen Herkunft, den Papstnamen Benedikt, so, wie 15 andere vor ihm das auch schon getan hatten. Der Name war Programm. Die Lehre Benedikts von Nursia (6. Jahrhundert) steht für die Weltabgewandtheit des Klerus, für den Rückzug ins Kloster. Ora et labora: bete und arbeite. Wobei unter Arbeit je länger desto elitärer nur geistig-schöne Dinge verstanden wurden, bei denen man sich nicht die Hände schmutzig machen musste: kunstvolles Bearbeiten alter Texte, Illuminieren von Handschriften, aus dem Studium der Literatur neue Erkenntnisse zu gewinnen über so wichtige Fragen wie jene, wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz fänden. Die Frage blieb offen. Stattdessen wurde im 14. Jahrhundert aber die Frohbotschaft verkündet, 1000 Seelen würden auf die Nadelspitze passen. Womit wir logisch erkennen, dass nicht jede Seele zu einem Engel wird.

Die Frage, ob Ratzingers Seele in die himmlischen Heerscharen aufgenommen wird, können wir nicht entscheiden. Seine beste Leistung war sein freiwilliger Rücktritt. Das Abrücken von der Welt ist für einen Papst ein No-go. Einer, der vor lauter Wissenschaft vergisst, sich um die Menschen zu kümmern, ist ein mieser Papst. Als er noch Chef der Glaubenskongregation war (also der Inquisition), ist er über zahlreiche Fälle von sexuellem Missbrauch innerhalb seiner Kirche stillschweigend hinweg gegangen. Radikalverbote von Abtreibung, Sterbehilfe und gelebter Homosexualität waren die Highlights seiner theologischen Erkenntnis. Es hinderte ihn nicht, sich von der Welt durch schwule Würdenträger im Kardinalsrang abschirmen zu lassen, fernab von jedem niederen weiblichen Wesen. Kein Wunder lesen wir in einer italienischen Zeitung: Keiner hier mochte ihn.

Seine Hofschranzen focht das nicht an. Bereits am Tag nach seinem Ableben setzten sie das Geplapper in die Welt, sein Nachleben werde darauf hinauslaufen, dass er baldmöglichst zum Heiligen erhoben werde (santo subito, wie weiland Woityla). Wir sind gespannt, welche Wunder sie aus dem Hut zaubern werden, um ihn dafür zu qualifizieren.

Ratzinger selbst soll sich ein schlichtes Begräbnis gewünscht haben; das ehrt ihn. Er hat es erhalten. Denn sein Nachfolger im Amt, der Argentinier Bergoglio, ist Franziskaner. Er kommt nicht von der Wissenschaft, sondern von der Seelsorge her. Er ist den Menschen zugetan und geht auf sie zu. Äusserer Pomp in der ganzen Symbolsprache, beispielsweise in den Attributen seiner Heiligkeit (ist die weisse Mozetta aus Damast noch zeitgemäss?), ist ihm fremd. Bergoglio hat verstanden, was das einzige ist, was dem Vatikan heute noch eine Existenzberechtigung gibt (schade nur, dass er zu schwach ist, seinen Ideen Taten folgen zu lassen). Für ihn und alle Bergogliani war das schlichte Begräbnis seines Vorgängers eine Selbstverständlichkeit.

Genau hierin liegt das Problem der Ratzingeristi. Dass Benedikt ohne Pauken und Trompeten in die Petersgruft geleitet wurde: Die Konsequenz wessen Willens war das? Franziskus’ oder Benedikts? Denn wenn die Schlichtheit nicht der angeblichen Bescheidenheit Benedikts geschuldet war, sondern der ordnungsgemässen Zurückstufung eines bereits Emeritierten, dann hätte man das nicht auf sich sitzen lassen dürfen. Dann hätte eben doch mit ordentlichem Pomp gezeigt werden sollen, wer der grosse Vorsitzende war. Santo subito!

Solche Sorgen hätte ich auch gerne. Dann müsste ich, wenn ich Papst wäre, mir keine weiteren Gedanken machen über den Hunger auf der Welt, über den Krieg, über die Frage nach der weiblichen Priesterschaft, über Hunderttausende von Missbrauchsopfern, die im Namen der Kirche geschändet wurden. Dann könnte ich das Zölibat so stehen lassen, wie es ist, über die Homosexualität von Priestern hinwegsehen, sie aber in der Gesellschaft verbieten. Dann müsste ich mich um keine aller sozialen Fragen kümmern, die 1,4 Milliarden Gläubige im Alltag umtreiben. Denn dann hätte ich eben keine anderen Sorgen.

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