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AutorenbildReinhard Straumann

Mission accomplished

Tag der Arbeit? Der war früher. Heute überlassen die sozialdemokratischen Parteien aller Länder den 1. Mai irgendwelchen vermummten Kohorten, die als «schwarze Blöcke» den Kundgebungen voraus marschieren und den Tag zum fröhlichen Werfen von Farbbeuteln oder Molotow-Cocktails nutzen, je nach angesagter Eskalationsstufe. Das Dilemma der Sozialdemokratie, die sich seit 100 Jahren in den Rechtsstaat einfügt und solchen Gewaltexzessen niemals beistimmen kann, es aber trotzdem nicht fertigbringt, sich von diesen Gruppen wirkungsvoll zu distanzieren, ergibt sich aus ihrer Mittellage zwischen beiden Polen: Zwischen den aggressiven Vermummten, deren Zerstörungswut man ablehnt, und dem noch viel aggressiveren Turbokapitalismus, dessen strukturelle Gewalt man erst recht verurteilt. Wie soll man sich da verhalten? Man überlässt das Feld dem Schwarzen Block und grillt auf dem Kundgebungsplatz die Würste für diejenigen, die es nach geschlagener Schlacht leicht verbeult doch noch bis hierher schaffen.

Am 1. Mai 2003, also exakt vor 20 Jahren, liess sich der Präsident der USA, George W. Bush, per Jet auf den Atom-Flugzeugträger Abraham Lincoln verfrachten, wo er, kamerawirksam inszeniert in seiner Jetpiloten-Kluft, das Wort in die Welt sprach: «Mission accomplished.»

Er meinte den Irak-Krieg, den seine Regierung bereits Jahre zuvor einzufädeln begonnen hatte. Hintergrund war die für die amerikanische Rüstungsindustrie fatale Situation, dass 1989 aufgrund des bevorstehenden Zusammenbruchs der Sowjetunion die Mauer fiel. Wofür sollte man jetzt noch aufrüsten, wenn es keinen Feind mehr gab? Die neokonservativen Strategen versammelten sich, die Köpfe und die Colts rauchten, und in einem der jetzt ins Kraut schiessenden Think-Tanks war man zum Äussersten bereit: im PNAC (Project of a New American Century), in welchem sich das amerikanische Grosskapital (vornehmlich der Erdöl-Branche), die Rüstungsindustrie und das erzkonservative politische Establishment die Hand gaben. Wie konnte man es erreichen, dass das 21. Jahrhundert auch ohne das Feindbild Ostblock zu einem amerikanischen Jahrhundert würde?

Die Antwort lautete: Das 21. Jahrhundert wird ein amerikanisches Jahrhundert, wenn es gelingt, den Mittleren Osten unter Kontrolle der USA zu bringen. Dazu brauchte es einen Krieg im Irak, und diesen zu provozieren war jedes Mittel recht. Die Strippenzieher hiessen Dick Cheney (späterer Vizepräsident), Donald Rumsfeld (späterer Aussenminister), Richard Perle (einflussreichster Rüstungslobbyist). Bush Junior, den man mit aller Gewalt und gegen den demokratischen Wahlentscheid ins Präsidentamt hievte, kam als Hampelmann für die Kameras dazu. Seymour Hersh, der meistdekorierte Enthüllungsjournalist Amerikas, formulierte es so: «Eine Bande von acht oder neun Neokonservativen hat die Regierung übernommen. Was haben sie gemacht? Sie haben der Presse ihre Schärfe entzogen. Sie haben der Verwaltung, dem Militär, dem Kongress einen Maulkorb angezogen. Sie haben eine Serie von massiven Verbrechen begangen, kriminelle Handlungen des Präsidenten und des Vizepräsidenten und von deren Verwaltung sowieso. Was mich dabei am meisten irritiert hat, ist, wie zerbrechlich die Demokratie ist.“

Unter dem erfundenen Vorwand, der Irak sei im Besitz von Massenvernichtungswaffen, gelang es ihnen, den anvisierten Krieg stattfinden zu lassen. Da die Lüge nicht ausgereicht hatte, von der UNO ein Kriegsmandat zu erschwindeln, überging man kurzerhand das Völkerrecht und vertraute auf eine „Koalition der Willigen“ (Grossbritannien unter Tony Blair und Konsorten). Der Krieg kostete mehr als eine halbe Million Menschen das Leben und hat – wie jeder Krieg – eine Unzahl von Menschenrechtsverletzungen eingeschlossen. Er endete in Tod und Zerstörung, in Besetzung und im Ausverkauf der irakischen Wirtschaft an amerikanische Konzerne.

Nie hat der Kapitalismus eine hässlichere Fratze gezeigt als im Irak-Krieg 2003. Er wurde im Namen jener Mächte geführt (USA, Grossbritannien), die heute am lautesten schreien, wenn es darum geht, den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine als völkerrechtswidrig zu verurteilen und die dort stattfindenden Menschenrechtsverletzungen anzuprangern.

Beide Bezichtigungen sind richtig. Aber sie stehen Nationen nicht zu, die sich erstens selbst exakt dasselbe haben zuschulden kommen lassen und die zweitens nichts, aber auch gar nichts unternommen haben, um die damaligen Untaten aufzuarbeiten oder gar eine Rechenschaftspflicht zu übernehmen. Putin ist als Kriegsverbrecher international steckbrieflich ausgeschrieben, Bush aber verplappert sich weiterhin grinsend vor den Kameras (neulich hat er öffentlich geschwafelt, Putin sei in den Irak einmarschiert…!). Blair privatisiert und Cheney bezieht seine Dividenden von Halliburton, derjenigen Unternehmung, deren Verwaltungsratspräsident und CEO er war und die aus dem Krieg Milliarden schöpfte. Rumsfeld ist schon mausetot. Alle befreundeten NATO-Staaten, die – wie die deutsche Aussenministerin – auf der ganzen Welt das hohe Lied von den Menschenrechten anstimmen, finden es offenbar moralisch genug, dass man die einen Menschenrechtsverbrecher vor die Tribunale zerrt und den anderen rote Teppiche auslegt.

Nie hat der Kapitalismus eine hässlichere Fratze gezeigt und nie hat der Westen mehr Glaubwürdigkeit verloren. Nie hat der Kapitalismus den Schwarzen Blöcken mehr Nahrung gegeben für ihren Zorn. Vielleicht würden unsere 1.-Mai-Umzüge heute anders aussehen ohne den 1. Mai des Jahres 2003. Gewiss ist nur, dass der kleine Bush damals Unrecht hatte mit seiner Aussage: Mission accomplished. Weit gefehlt. Solange es nicht ansatzweise Gerechtigkeit gibt auf der einen Seite, wird es sie auf der anderen nie geben.

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