Kurt Tucholski wusste es besser. «Was darf die Satire?», fragte er in bewegten Zeiten, nämlich mitten während der Deutschen Revolution (die nach dem Ersten Weltkrieg zur Weimarer Republik führte). Am Ende seines kleinen Aufsatzes beantwortete er die Frage, die dessen Titel stellte – «Was darf die Satire?» – gleich selbst: «Alles.»
Die Erinnerung an Tucholskis Frage- und Antwort-Spiel liess sich nicht verdrängen, als ich am Freitag letzter Woche wieder einmal der «Heute-Show», der hausgemachten Satire-Kiste des ZDF, eine Chance gab. Es war eine einzige Peinlichkeit. Tucholski, der Grossmeister der deutschen Satire, würde sich im Grabe umdrehen. 1919 sagte er: «Satire scheint eine durchaus negative Sache. Sie sagt: ‘Nein!’». Die Satiriker von heute aber – sofern sie auf TV-Auftritte angewiesen sind (und welche sind das nicht…) – sagen: «Ja!». Sie sagen Ja zum Krieg in der Ukraine und zum Export von immer mehr und immer komplexeren Waffensystemen dorthin. Sie sagen Ja zur Aufrüstung, und bis vor wenigen Wochen sagten sie sogar Ja zum Völkermord in Palästina. Dank der nicht länger ignorierbaren Fernsehbilder aus dem Gaza-Streifen hat das jetzt gebessert, immerhin. Aber anstatt dass sie laut aufschreien würden, hüllen sie dieses Thema in den Mantel diskreten Schweigens. Denn alles andere würde heutzutage als Antisemitismus gelten und zur Verbannung der jeweiligen Autoren von den Bildschirmen führen.
Die Geschichte der Polit-Satire im deutschsprachigen Raum ist eine Geschichte des Niedergangs. Was getraut sie sich noch aufs Korn zu nehmen mit Blick auf die erforderliche TV-Konformität? Sie macht flache Witzchen über Olaf Scholz’ hanseatische Einsilbigkeit. Sie thematisiert die Gesundheitspolitik, weil den Gesundheitsminister Lauterbach eh keiner mehr ernst nimmt. Sie ergeht sich in Flatulenz- und Fäkal-Humor, weil das offenbar die Säle füllt und die Leute zum Grölen bringt. Sie schiesst auf Donald Trump, weil der Wahlsieg von Old Joe Biden offenbar ein Muss ist, damit der Krieg in der Ukraine weiter geht. Sie schiesst generell auf alles, was von der Opposition kommt (sofern damit nicht CDU und CSU gemeint sind, welche im Spätherbst nächsten Jahres wieder Regierungsparteien sein werden). Und sie findet es ungeheuer lustig, alle Bürgerinnen und Bürger, die in der AfD den einzigen Notausgang aus der gegenwärtigen politischen Katastrophe sehen, mit dem braunen Bodensatz der deutschen Nazi-Vergangenheit gleichzusetzen.
Weil manchmal trotz des politischen Gleichschritts mit dem Main-Stream ein Witz gelingt und lustig wirkt, klopft sich das Publikum auf die Schenkel und meint, was sie eben konsumierten, sei Satire. Weit gefehlt, sprach Tucholski. In tiefster Einsicht in das Wesen der Satire schrieb er: «Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine.»
Nun fordert heutige Satire zwar nicht gerade zur Zeichnung von Kriegsanleihen auf, aber weit entfernt sind wir nicht mehr. Rheinmetall, der grösste deutsche Waffenhersteller, hat den Sprung ins Unterhaltungs-Business schon geschafft, indem die Firma sich zum Hauptsponsor des Fussballvereins Borussia Dortmund machte (oder umgekehrt: weil sich Borussia Dortmund nicht scheut, sich für einen Waffenschmied zu prostituieren). Sicher freuen sich die Frauen und Mütter der gefallenen Ukrainer über die künftigen Erfolge der Borussia.
Unsere Politik steuert bei vollem Bewusstsein auf gigantische globale Konfrontationen zu. Der französische Präsident Macron hat beschlossen, Bodentruppen (als Ausbildner) in die Ukraine zu schicken. Bundeskanzler Scholz hat seinen Widerstand gegen den ukrainischen Beschuss von Zielen in Russland mit deutschen Waffen aufgegeben, offenkundig nach Erhalt entsprechender Weisungen aus Washington. Dort ist man weiterhin begeistert von der cleveren Geschäftsidee, eine Generation junger Ukrainer zu verfeuern, weil das den Shareholdern der amerikanischen Waffenindustrie gefällt und Russland schadet. Israel vernichtet in seiner blinden Wut das palästinensische Volk, um den Gaza-Streifen wieder israelisch zu machen. Die USA und die EU befeuern den Genozid mit Waffenlieferungen.
Was aber tun unsere Satiriker, deren Aufgabe es wäre, aufzuschreien vor dem Unheil? Sie verschlafen ihre Pflicht. Sie pennen. Sie kuschen vor der Zensur. Mich würde, bezüglich des öffentlich-rechtlichen Senders ZDF, interessieren, ob sich die Macher der Heute-Show aufgrund von Direktiven in die Hose machen oder ob die Zensur eine vorauseilende, selbstgewählte ist. (Meine These: Da es Anweisungen für Sprachregelungen in den grossen Konflikten gibt – wie etwa: «russischer Angriffskrieg» statt «Krieg in der Ukraine» oder «Terrororganisation» statt «Hamas» – gibt es auch diese Direktiven.)
Die Satiriker gehen den Konflikten aus dem Weg, statt sie zu benennen. Sie begleiten lieber ihr Publikum mit fidelen Sprüchen in den Untergang, als davor zu warnen. Aus Rücksicht vor der Zensur verschonen sie es vor schlechten Nachrichten und vor schlechten Gefühlen. Sie verhalten sich gemäss Tucholskis Satz «Satire scheint eine durchaus negative Sache», aber sie haben den Text nicht zu Ende gelesen. Er geht so: «Satire ist eine durchaus positive Sache. Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.» Was gäbe es Wichtigeres und Nobleres?
Die Satire ist tot. Sie ist am Zusammenwirken von wirtschaftlicher Macht, politischer Kontrolle und medialer Manipulation zugrunde gegangen. Tucholski hat es kommen sehen. «Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den.» Die Satire ist tot, aber die gewissenlosen Hanswurste leben.
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