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End of Rome

Friedrich Dürrenmatt, wie meist, versuchte es mit lustig. «Wer so aus dem letzten Loch pfeift wie wir alle, der kann nur noch die Komödie verstehen», sagte er über sein Stück «Romulus der Grosse». Augenzwinkernd wird darin der Untergang von Westrom behandelt, nämlich so: Völlig entspannt begleitet Romulus, der letzte römische Kaiser, sein Imperium ins weltpolitische Abseits. Niemand kann die stoische Ruhe begreifen, welche ihm dabei eigen ist. Zum Hühnerhof hat er das Weltreich verkommen lassen, und was ihn noch begeistern kann, ist einzig die Legeaktivität seiner Hennen, die er nach den Grössten der Altvorderen benennt: Tiberius, Domitian, Mark Aurel. Nach und nach wird das eigenartige Verhalten des Imperators verständlich: Er hat die zerstörerische Wirkung von Weltreichen erkannt und unternimmt alles, um sein eigenes von innen auszuhöhlen. Die Germanen, die gerade ante portas stehen, kommen ihm zupass. Romulus gedenkt, sein Reich kampflos den Germanen zu Füssen zu legen, damit die Kriege endlich ein Ende haben, die Rom sich permanent zuschulden kommen lässt.

Pech ist nur, dass Odoaker, der Fürst der Germanen, exakt dasselbe im Sinn hat: Er ist nach Rom gekommen, um die voraussehbare Katastrophe eines germanischen Weltreichs zu verhindern, und deshalb will er sich Romulus unterwerfen. So begegnen sich zwei Weltherrscher wider Willen, beide vom guten Geist beseelt, zum Wohl der Menschheit beizutragen. Aber Odoakers Neffe Theoderich, dem das Reich zufallen wird, ist kein Philosoph wie sein Onkel und dessen alter ego. In ihm wächst der Machtmensch heran, in dessen Namen alle erdenkbaren Katastrophen der Menschheit ihren Lauf nehmen werden.

Obwohl es uns heute nicht mehr ums Lachen zu tun ist, erweist sich einmal mehr eine Dürrenmatt’sche Parabel als Prophetie. Zwar sind die heutigen Weltfürsten keine Philosophen und keine Pazifisten. Das ist einerseits von untergeordneter Bedeutung, weil ihre Imperien auch ohne ihr Dazutun zum Untergang verurteilt sind (dies festzustellen bedarf es nur eines Blicks auf die degenerative demografische Situation von Russland, China oder den USA). Aber andererseits ist das auch dramatisch, weil niemand weiss, wieviel und wieviele diese vereinsamten Irren bereit sind, mit in ihren Strudel zu reissen.

Wie bei Dürrenmatt ist auch in der heutigen Realität der Zerfall von Mächten begleitet durch das Aufstreben neuer Kräfte. Wir sind Zeitzeugen, wie die fast 200jährige Wirksamkeit der Monroe-Doktrin zur Makulatur verkommt. Südamerika kündigt dem Westen die Gefolgschaft, und in Afrika stehen Staats- und Parteichefs in der Reihe, um einer nach dem anderen dem Westen die kalte Schulter zu zeigen. Die unnachahmliche Arroganz eines Donald Trump, für den die afrikanischen Staaten nichts als «shithole-countries» waren, holt die USA ein. Saudi-Arabien, in der gesamten Nachkriegsgeschichte stets ein verlässlicher Partner der USA, ist fest eingebunden in eine Gruppe zunehmend selbstbewusster Erdölförderer, die mit Genuss zur Kenntnis nehmen, wie europäische Staatschefs ihnen neuerdings die Füsse küssen, um auch ein Kännchen Öl zu erhaschen. Ebenso wie Venezuela, der Iran und andere Rohstoffeigner erklären die Saudis plötzlich, dass sie so weit als möglich den Dollar als Zahlungsmittel meiden wollen. Saddam Hussein haben solche Ideen vor 20 Jahren die Herrschaft und den Kopf gekostet. Heute stehen die Schwellenländer Schlange, um in die Gemeinschaft der BRICS-Staaten aufgenommen zu werden, die sich die Abkehr von den USA und vom Dollar auf die Fahne geschrieben haben. Wenn sie ihre Absichten wahr machen, geht der Dollar in den Keller und die weltweit stationierten US-Streitkräfte sind nicht mehr zu finanzieren.

Weshalb diese Trendwende? Spätestens etwa 2012 oder 2013 (als sich die stellvertretende Aussenministerin, Victoria Nuland, damit brüstete, man habe 5 Milliarden Dollar ausgegeben, um die Regierung in Kiew zu destabilisieren), begannen die USA eine ziemlich perfide Falle zu stellen: Wenn es gelingen würde, Russland in einen Krieg zu locken, würde dies Europa zum Schulterschluss mit den USA nötigen, und damit wäre die globale Hegemonie zumindest teilweise gesichert. Man könnte sich dann ganz der Konkurrenzmacht China zuwenden. Offenbar haben die amerikanischen Militärhistoriker die Strategie von Bismarck exakt studiert. Unter seiner Regie ist es dem Norddeutschen Bund 1870 gelungen, Frankreich in einen Krieg gegen Deutschland zu treiben, was die süddeutschen Staaten an die Seite der norddeutschen stellte und so die deutsche Reichsgründung ermöglichte.

Der Plan war perfid, aber Obama und seine Generäle sind keine Bismarcks. Der Plan hatte Fehler. Erstens hat er Russland auf die Seite Chinas getrieben, weshalb das Reich der Mitte nun auf unabsehbare Zeit Erdöl und -gas zu bestmöglichen Konditionen ordern kann, während die europäische Wirtschaft unter den Energiepreisen kollabiert. Zweitens haben die russischen und chinesischen Finanzstratege so gut wie jede Reaktion des Westens vorausgeahnt, sodass die Sanktionen nutzlos verpuffen. Und drittens scheint es, als sei dieses letzte westliche Ränkespiel exakt dasjenige gewesen, das es brauchte, um vielen Staaten der Südhalbkugel jenen Dégoût beizubringen, den sie noch brauchten, um aus dem Schatten des westlichen Kulturimperialismus herauszutreten. Den Herren Obama, Biden und Konsorten (inklusive ihrer europäischen Vasallen) ist die Falle um die Ohren geflogen, die sie anderen angedacht hatten.

Das Ende eines Zeitalters naht. Will der Westen das End of Rome noch abwenden, dann sind nicht bauernschlaue, sondern weise, von Anstand getragene Pläne vonnöten. Vielleicht sollte man im Pentagon nicht nur Bismarck, sondern auch einmal Dürrenmatt lesen. Der liegt in englischer Übersetzung vor.

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