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Zwischen Stuhl und Bank

China lässt seine Muskeln spielen. Die Militärparade zur Feier des 80. Jahrestages des Sieges gegen Japan war ein Ausdruck in sich ruhender Souveränität. Und ebenso war der Auftritt des Staatspräsidenten Xi Jinping, der sich stets flankieren liess von seinen Schutzbefohlenen Wladimir Putin (wie in der christlichen Ikonografie stets auf der rechten Seite des Übergottes) und Kim Jong-un (links) – die Dreieinigkeit geballter militärischer Nuklearpower.

Doch es ging in Peking mitnichten nur um eine Demonstration von supermodernen Arsenalen und numerischer Wehrstärke. Es ging darum, im Machtpoker um Fragen der globalen Hegemonie Flagge zu zeigen. Jetzt wissen wir: Nachdem die Karten im Gerangel um die post-transatlantische Weltordnung gemischt sein werden, gibt China das Spiel. Sehr auf Aussenwirkung bedacht, liess sich Xi nicht nur mit Putin und Kim von den Kameras ablichten, sondern auch mit Putin und dem indischen Präsidenten Narendra Modi. China, Indien und Russland spazieren Hand in Hand. Die beiden bevölkerungsmässig grössten Nationen, denen (fast) jeder dritte Mensch dieser Welt angehört, und die gleichzeitig über weltführendes Spitzen-Knowhow in Sachen Künstlicher Intelligenz verfügen. Sie ordnen sich im Gleichschritt mit der territorial grössten Nation, Russland, das über das nötige Reservoir an Bodenschätzen verfügt.

Vielleicht wäre es ratsam, wenn man sich in Washington, Brüssel, London, Paris und Berlin langsam mit dem Gedanken anfreundete, die BRICS-Welt ernst zu nehmen. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie noch vor einem Jahr die deutsche Aussenministerin sich anmasste, Xi Jinping zu massregeln und dem ganzen chinesischen Machtapparat moralinsaure Spritzen zu verabreichen, dann wird einem heute bewusst, wie unsäglich lächerlich und dumm das war. Ihr Nachfolger Wadephul, dem zum Amtsantritt nichts Besseres einfiel, als Russland ewige Feindschaft anzukündigen, ist bis jetzt den Beweis schuldig geblieben, dass es unter ihm besser würde.

Die Reaktionen des transatlantischen Lagers – sofern es das noch gibt – bestehen aus betretenem Schweigen. Zwar gibt es unter den medialen Welterklärern den einen oder anderen Schlaumeier, der findet, ein Defilee sei kein Manöver und hochpolierte Überschallraketen würden nichts über deren Einsatzbereitschaft aussagen. Wie wahr. Aber es wäre doch klüger, würde man, statt über die anderen zu schnöden, gelegentlich ein paar Blicke in die eigenen Munitionskavernen werfen. Dort ist es so öde, dass sogar die Leere gähnt.

Auffällig ist, dass sich die westlichen Regierungsmenschen nicht auf die Äste hinauswagen. Mit Ausnahme von Donald Trump. Der posaunte auf „Truth Social“: „Möge Präsident Xi zusammen mit dem wunderbaren Volk Chinas einen grossartigen Feiertag erleben. Bitte richten Sie meine allerherzlichsten Grüsse an Wladimir Putin und Kim Jong-un aus, während sie sich gegen die USA verschwören.“

Oje. Der arme Onkel Donald. Jetzt sind also die USA das Opfer, die 200 Jahre lang keinen Krieg ausgelassen haben, wenn sie eine Profitmöglichkeit sahen, die Atombomben abgeworfen haben, die bombardierten, wo es ihnen nur passte, die Staatsstreiche en masse organisierten und die Flüchtlingsströme in allen Staaten des Orients generierten, wann immer sie damit Europa spalten konnten. Ja, wir kennen das Gegenargument: Die USA haben Europa vom Faschismus befreit – dafür sind wir dankbar (ebenso den Russen, die das Gleiche unter weit grösseren Opfern geleistet haben). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber, und insbesondere nach 1989, haben sich die USA zur aggressivsten politischen Macht entwickelt. Im Nahen Osten fataler- und absurderweise oft unter dem Diktat Israels.

Donald Trump, das müssen wir immerhin feststellen (bei allem berechtigten Kopfschütteln über seine Zollpolitik und seinen innenpolitischen Meinungsterror), Donald Trump findet Kriege hinderlich für seine Deals – darum mag er sie nicht. Infolge beider Themenkreise (Kriege einerseits, Deals andererseits) redet er mit seinen Antipoden. Er redet mit Putin, er redet mit Kim, er wird auch mit Xi reden. Und selbstverständlich mit den Europäern, solange die bereit sind, für seine Politik zu zahlen (statt für ihre). Denn die Europäer sind seine Vasallen.

Was aber fällt diesen ein angesichts der sich verändernden Weltkonstellation? Gar nichts, ausser Krieg. Zwar hat sich die Rhetorik angepasst: Mit Blick auf Wähler und Wahlen ist es opportun, von Frieden zu reden. Aber – mit Blick auf die Ukraine – man konstruiert Friedensbedingungen, von denen völlig klar ist, dass sie für Russland inakzeptabel sind. Also erhält man, was man wünscht: dass der Krieg ad infinitum weitergehe. Und zieht dabei noch den Bonus ein, dass man den Schwarzen Peter der Friedensverhinderung Wladimir Putin zuschieben kann. Die europäischen Regierungschefs der führenden Nationen haben zwar das Mantra, diesen Krieg doch noch zu gewinnen, fallen gelassen, aber nach wie vor haben sie keinen Plan für den Fall der faktischen Niederlage. Sie bilden Koalitionen der Willigen und tun so, als habe dieser Krieg keine Vorgeschichte vor 2022. Sie schlucken Trumps Zollpolitik und befürworten, dass die eigenen Industrien in die USA abwandern. Sie akzeptieren die Verteuerung ihrer Energie, die ihnen die Wettbewerbsfähigkeit entzieht. Sie rüsten auf wie die Irren, weit über ihre Verhältnisse, und sind bereit, für die Dämonisierung Putins den sozialen Frieden in ihren eigenen Ländern zu opfern.

Die führenden Mitgliedstaaten der EU sind die Hinterbliebenen der neuen Weltkonstellation. In ihrer verklärenden Nostalgie haben sie noch nicht begriffen, dass nicht der Krieg das Heil bringt, nicht die Dämonisierung der Feinde (die vor kurzem noch Freunde waren), sondern das Gespräch mit ihnen. Man sieht nicht, was Europa zu bieten hätte: Werte (ja, wenn man die richtigen nimmt), Tradition, Aufklärung, Know-how. Nichts fällt den Führungsfiguren ein, wenn es darum geht, die eigene Waagschale zu füllen. Grosse Worte, nix dahinter. Europa verliert den Anschluss. Der Sturz zwischen Stuhl und Bank zeichnet sich ab.

 
 
 

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