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Die Gewissensnot des Donald Trump beim Schwangerschaftsabbruch

Aktualisiert: 13. Mai 2022

Eigentlich wäre, wenn wir nur dem Wortstamm folgen würden, Konservatismus eine schöne Sache: Bewahren, was sich bewährt hat. Wer könnte diesem Ansatz widersprechen? Gewiss, man wird einwenden, dass für verschiedene Menschen und verschiedene Kreise unterschiedliche Dinge als bewährt gelten. Unbestritten. Aber dennoch hat sich seit bald 240 Jahren, seit der Engländer Edmund Burke den Begriff „Konservatismus“ geprägt hat, ein Wertekatalog herauskristallisiert, der für die Konservativen als verbindlich gilt. Seine Inhalte: Es gibt eine der menschlichen Vernunft inhärente, vorgegebene Ordnung, der das von Menschen gesetzte Recht folgen muss. Deren Bestandteile sind die Familie, die Religion, der Respekt vor der Geschichte, das Hochhalten der Tradition, das Vaterland, die Idee der Nation an sich, die hierarchische Gliederung der Gesellschaft, die natürliche Ungleichheit der menschlichen Spezies, die Überlegenheit der weissen Rasse…

Dieser Wertekatalog gilt weit über die konservative Weltanschauung hinaus. Auch mancher Liberale würde sich ihm problemlos unterziehen. Das Problem des Konservatismus ist ein anderes. Es besteht darin, dass Konservatismus zu einem Etikettenschwindel geworden ist. Wenn wir seine Wortführer betrachten – und zwar diejenigen, die sich auf der grossen politischen Bühne am lautesten artikulieren –, dann stellen wir fest: lauter Lug und Trug. Von Donald Trump über Viktor Orban zu Jair Bolsonaro, von Marine Le Pen zu Boris Johnson und zahlreichen Lautsprechern der deutschen AfD, vom Polen Jaroslaw Kaczynski bis zu Wladimir Putin (ja, auch der gehört in diese Reihe…) – sie alle posaunen den konservativen Wertekanon in den gesellschaftlichen Diskurs. Glaubt ihnen kein Wort. Kleptokraten sind sie, einer wie der andere, die sich in den Grenzbereichen zur Korruption tummeln, mal hüben, mal drüben.

Denn allen Genannten (und über sie hinaus auch tausenden von demokratietreuen Konservativen wie Emanuel Macron, Friedrich Merz oder prominenten Vertretern der schweizerischen SVP) ist gemeinsam, dass sie zur Spitze des gesellschaftlichen Establishments gehören. Wenn sie verkünden, für die Menschen den Weg zurück in die gute alte Zeit der rechten Ordnung zu erkämpfen, dann ist stets die Ordnung gemeint, von welcher sie selbst am meisten profitieren. Dann geht es nicht um das Wohl der Menschen, sondern um das Wohl ihrer selbst und aller anderen, die mit ihnen die gesellschaftliche Pole-Position teilen.

Wie wenn es dazu eines erneuten Belegs bedurft hätte, wird dieser Tage in den USA eine neue Abtreibungsdebatte losgetreten. Abtreibung bis zur 24. Woche ist dort geltendes Recht, seit 1973 der Oberste Gerichtshof in einem Grundsatzurteil festgestellt hat, das in der Verfassung garantierte Recht auf Privatsphäre schliesse in der Konsequenz auch ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch ein. Das war ein grosser Fortschritt auf dem Weg in die Selbstbestimmung der Frau in einer zukunftsorientierten gesellschaftlichen Aera.

Aber diese Zeit ist vorbei. Auf den kommenden Juni hin wird ein weiteres Grundsatzurteil des Supreme Court erwartet, dessen Entwurf anfangs Mai bereits durchgesickert ist. Inhalt: Der oberste Gerichtshof wird das 1973er-Urteil kassieren und die Frage an die Einzelstaaten zurückgeben. In 13 davon sind entsprechende Gesetze längst vorbereitet, sodass sie mit der Wirksamkeit des erwarteten Richterspruchs sofort in Kraft gesetzt werden können. Darunter finden sich Inhalte, die eher an ein Taliban-Regime gemahnen, als an einen Staat, der im Lichte der Aufklärung entstanden ist. Beispielsweise gehört dazu, dass auch in Fällen von Vergewaltigungen oder Inzest keine Ausnahme vom Abtreibungsverbot gewährt werden kann. In Missouri etwa würden auch Frauen bestraft, die eine Abtreibung in einem anderen Bundesstaat vornehmen liessen oder sich auswärtig eine Abtreibungspille beschaffen würden. Um solchen Frauen in Notlage auf die Spur zu kommen, würden künftig auch Daten aus deren Telefon- oder Internetnutzung verwendet werden können.

Nun könnte man argumentieren, der Schwangerschaftsabbruch sei ein ernstzunehmendes ethisches Problem, das notwendigerweise auch extreme, aber dennoch ernstzunehmende Haltungen nach sich ziehe. Einverstanden. Irgendwo in einem Beichtstuhl oder in einem stillen Kämmerlein ist es wohl möglich, dass um solche Fragen gerungen wird. Aber glaubt jemand im Ernst, ein Donald Trump, ein Viktor Orban, ein Jair Bolsonaro, ein Jaroslaw Kaczynski und Konsorten würden auch nur ansatzweise von Gewissensnot umgetrieben? Wir möchten nicht wissen, an wie vielen Abtreibungen die Genannten beteiligt waren… Ihnen geht es exakt um zwei Dinge: Zweitens um die Durchsetzung ihres frauenverachtenden Weltbildes und erstens darum, die entsprechend anvisierten Wählersegmente (ob evangelikal oder katholisch-konservativ) für sich selbst zu mobilisieren. Und dazu tutet man ins Horn vom Schutz des ungeborenen Lebens aus christlicher Ethik.

Interessant wird es sein, die Entwicklung in Pennsylvania zu verfolgen. Dort steht eine konservativ-republikanische Parlamentsmehrheit einem demokratischen Gouverneur gegenüber, dessen Sitz im laufenden Jahr frei wird. Das Parlament hat einen rigiden, die Abtreibung verbietenden Gesetzesentwurf vorbereitet, der schon auf dem Tisch liegen wird, wenn der nächste Gouverneur seinen ersten Arbeitstag anpackt. Der Wahlkampf steht ganz im Zeichen der Abtreibungsfrage. Wie viele der Frauen und Männer in Pennsylvania werden sich für dumm verkaufen lassen? Und wie viele werden sich fragen, welches das nächste Bürgerrecht sein wird, das „konservative“ Politiker auf dem Altar ihrer erhofften Wiederwahl zu opfern bereit sind? Aktuell im Angebot stehen der Gebrauch von Verhütungsmitteln und/oder die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare. Wir sind gespannt.

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