Im Seitenwagen des Seitenwagens
- Reinhard Straumann
- vor 51 Minuten
- 4 Min. Lesezeit
Das haben wir mittlerweile begriffen: Die Aussenpolitik der USA, Bereich naher und mittlerer Osten, wird in Israel gemacht. Bibi Netanjahu, der Strippenzieher ohne Gewissen, führt die amerikanischen Präsidenten, vom kleinen Bush bis zum zweiten Trump, an der kurzen Leine. Die Erklärung für diese Schwäche des mächtigsten Mannes der Welt ist einfach. Michael Lüders, unbestechlicher und durch und durch westlicher Nahostexperte, nennt in seinem neuesten Buch ("Krieg ohne Ende?", 2024) das Kind beim Namen. Pro-israelische Lobbyorganisationen mit extremer Kapitalfülle (darunter insbesondere das American Israel Public Affairs Committee, AIPAC) überwachen die ideologischen Positionierungen aller Abgeordneten, Senatoren, Regierungsbeauftragten etc. hinsichtlich ihrer Loyalität zu Israel und Zionismus. Verhalten sie sich konform im Sinne Israels, so sprudeln bei nächster Gelegenheit die Wahlkampfspenden wie die Ölquellen der Saudis, wenn nicht, so versiegen diese Quellen und der Bewerber sieht sich plötzlich einem Konkurrenten gegenüber, mit dessen Finanzkraft er nicht mithalten kann. Das AIPAC zählt seit 40 Jahren zu den stärksten Lobbygruppen in den USA.
So lässt sich jeglicher Gesetzgebungsprozess bequem steuern. Oder glaubt jemand im Ernst, dass Trumps Entscheid, Israel bei seinem Erstschlag auf die iranischen Atomanlagen mit eigener Feuerkraft zu unterstützen, sei rein aus ideologischer Überzeugung geboren, ganz ohne Deal von Schurke zu Schurke?
Aus rechtsstaatlicher Optik fehlt uns dafür jegliches Verständnis, aber wir erkennen den Mechanismus: Es handelt sich um irgendetwas zwischen Nötigung und Erpressung. Noch schwieriger wird das Verständnis dann, wenn nicht einmal solch simple Druckmechanismen erkennbar sind. In Sachen Deutschland ist das der Fall. Weshalb, um alles in der Welt, liess sich die Bundesrepublik ohne Not in eine Sackgasse manövrieren, aus der Land und Regierung nicht mehr herausfinden ohne einen fatalen Glaubwürdigkeitsverlust? Eine Regierung, die ohne Unterlass moralisch argumentiert, liefert Waffen in eine Region, wo ein offenkundiger Genozid stattfindet.
Es ist offenkundig, was die Hardlinerregierung in Tel Aviv anstrebt: den Staat Grossisrael. Ein Palästina ohne Palästinenser. Dazu ist jedes Mittel recht, von der Vertreibung bis zum Genozid. Erstere funktioniert nicht, weil offenbar kein Land bereit ist, den Palästinensern eine Heimstätte zu bieten (ja, wir erkennen die Parallelen zur jüdischen Geschichte). Deshalb schwingt die Variante Genozid obenaus. Sie wird in einer gnadenlosen, unvorstellbarem, unmenschlichen Art und Weise durchgezogen. Nicht erst seit dem 7. Oktober 2023, sondern seit es den Zionismus gibt, seit die Engländer, geködert von der jüdischen Hochfinanz (Familie Rothschild), im Laufe des Ersten Weltkriegs diese Idee aufgegriffen haben. Sie kam Britannien zupass, weil sie dem grössten kolonialen Weltreich die Chance bot, den Suezkanal zu überwachen und einen Fuss in die wichtigste Erdölregion zu setzen.
Auch die Bundesrepublik hat sich der Idee des Zionismus unterzogen, und zwar aus zwei Gründen. Erstens aus der historischen Schuld, die Deutschland das Wohlergehen Israels zur "Staatsräson" erheben liess und dies noch mit der fatalen Auffassung verknüpfte, jedes politische Verbrechen Israels wegleugnen zu müssen. Und zweitens (ich vermute: vor allem), weil man sich zu den USA (und damit auch zu deren pro-israelischen Lobbygruppen) in den Seitenwagen gesetzt hat. Und zwar bedingungslos. In Deutschland wird, seit dem 7. Oktober 2003, jegliche Kritik am Staat Israel mit strafrechtlich relevantem Antisemitismus gleichgesetzt.
Diese Fiktion lässt sich nur durch komplexe Lügenkonstrukte aufrechterhalten. Das ist moralisch falsch und dazu noch in mehrfacher Hinsicht politisch dumm. Man steht, wie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit sturer Beharrlichkeit, auf der falschen Seite der Geschichte. Kein Verbrechen lässt sich damit aus der Welt schaffen, die Folgeverbrechen der anderen Seite zu ignorieren. Der Fehler liegt darin, dass Deutschland (und fast die komplette EU) alle Karten auf die Seite einer absteigenden Macht setzt – der USA –, und dies zu einem Zeitpunkt notabene, als ein erratisch handelnder US-Präsident verkündet, dass er nur an Deals interessiert sei und keineswegs an Werten. Darüberhinaus will der gesamte Westen nicht wahrhaben, dass nicht nur Russland und China, sondern praktisch die ganze Südhalbkugel genug hat vom westlich-moralischen Gedöns. In diesem Widerstreit aller Kräfte geht Deutschland all in, aber auf der falschen Seite. Man erkennt nicht, dass man das ganze politische Tafelsilber für ein Linsengericht verscherbelt: die Verlässlichkeit, die Humanität, die Intellektualität. Das Erbe der Aufklärung im Lande Kants.
Was macht in dieser Gemengelage die Schweiz? Hier erkennen wir nur einen Steuerungs-mechanismus: Abgucken, was die andern tun. Man wartet auf die Handlungsvorgaben der USA und – naheliegend – Deutschlands. Man setzt sich in den Seitenwagen des Seitenwagens. Mutlos schloss sich die Schweiz den Russland-Sanktionen an und verspielte ihr höchstes aussenpolitisches Gut, die Neutralität. Motiviert durch einen schlüpfrigen Departementschef in der Aussenpolitik gab sich der Bundesrat zu Beginn dem Opportunismus hin bis zur Peinlichkeit. Ignazio Cassis, Aussenminister, wurde vor drei und zwei Jahren nicht müde, bei jeder Gelegenheit den ukrainischen Kollegen Selenski demonstrativ abzuküssen. Genau gleich, wie die letztjährige Bundespräsidentin Amherd mit der EU-Frau von der Leyen verfuhr, weil sie das der Illusion näherte, sie seien Freundinnen. Aktuell weiss Cassis nicht mehr, wo er mit seiner Zärtlichkeit hinsoll. Wäre Frau Amherd noch am Herd, hätte sie dasselbe Problem.
Ebenso verhielt sich Cassis in der Nahostpolitik, bis dem Publikum übel wurde. Als Konsequenz erhielt er einen Protestbrief seiner MitarbeiterInnen. Er replizierte er mit dem scharfen Appell, jegliche öffentliche Kritik sei zu unterlassen. Es klang nicht nur wie eine Drohung, es war eine. Aha, unser Aussenminister hat also doch Kanten, aber am falschen Ort.
Comentarios