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AutorenbildReinhard Straumann

Demokratie? Von wegen...

Die USA haben sich für Donald Trump entschieden, und wenn wir allen Unkenrufen der letzten Monate vertrauen würden, dann stünde ab sofort der Untergang des Abendlandes bevor. Ein Krimineller, ein Faschist, ein Demokratiezerstörer wird zum zweiten Mal mächtigster Mann der Welt. Wo sind wir gelandet? Wo soll das hinführen? Gott schütz’ uns vor dem Hühnervogel!

Ja, ein verurteilter Straftäter ist er, insofern ein Krimineller. Die Delikte, in die er involviert ist, handeln von Mauscheleien und Grapschereien, von Vermögen, Steuern und einem überdenkenswerten Verhalten gegenüber Frauen. Aber er hat sich nie zuschulden kommen lassen, was die meisten seiner 45 Amtsvorgänger nicht vermeiden konnten, nämlich durch völkerrechtswidrige Angriffskriege zum Massenmörder zu werden. Interessanterweise sind in unserer Gesellschaft Vermögensdelikte ehrenrührig, während Figuren wie der kleine Bush oder der Brite Tony Blair weiterhin als Ehrenmänner gelten. Hätten sich alle Grossen dieser Welt keiner schlimmeren Vergehen schuldig gemacht als Trump, ginge es der Menschheit besser. Wer Trump vom moralischen Standpunkt aus beurteilt, sollte sich um gleiche Massstäbe in alle Richtungen bemühen, sonst wird die Doppelmoral peinlich.

Wohlverstanden: Es geht nicht darum, Trumps Vergangenheit schönzureden. Aber ihm ein Stück Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ist nötig. Das Ausmass, womit der herrschende Polit- und Medienapparat in überwiegender Mehrheit Trump diabolisiert und sich gleichzeitig selbst weisswäscht, ist an Heuchelei nicht zu überbieten. Das Problem liegt vielmehr darin, dass die den Wahlbürgerinnen und -bürgern zur Verfügung gestellte Auswahl dieser Kandidatin und dieses Kandidaten in sich fatal war. Not stand gegen Elend, ein egomanischer, hochstaplerischer Schaumschläger gegen eine ewig grinsende Sprechpuppe aus dem Hause Pepsodent, die heillos überfordert war, sobald der Teleprompter oder der Knopf im Ohr aussetzten.

Natürlich ist die moralische Verurteilung Trumps reine Heuchelei. Die in diesem Theater zum Ausdruck kommenden Interessen sind jene eines gigantischen Komplexes von Erdöl-, Frackinggas- und Rüstungsindustrie, der seit Jahrzehnten die demokratische Partei unterwandert und sich auf Teufel komm raus an die Macht klammert. Er finanziert ihren Kandidaten die Wahlkämpfe, damit sie ihm als Amtsträger die Kohlen aus dem Feuer holen. Vor vier Jahren wurde Old Joe Biden auf den Schild gehoben, der Zombie, der Untote aus der Kennedy-Aera. Biden, in den 1960er-Jahren politisch sozialisiert, als die Weltherrschaft der USA und ihre transatlantischen Bindungen noch nicht in Frage standen, sollte die Renaissance dieses goldenen Zeitalters bewirken. Instrumente waren die Unterwerfung Europas unter das Diktat der US-Energiewirtschaft sowie die gnadenlose Verfeuerung der Ukraine. Wenn wir dem Wahlsieg von Donald Trump eine Hoffnung abringen, so diejenige, dieses furchtbare Spiel möge bald ausgespielt sein.

Der klare und schnelle Ausgang der Präsidentschaftswahl zeigt, dass die Wählerinnen und Wähler diese Mechanismen besser durchschaut haben, als uns die Mainstreammedien glaubhaft zu machen versuchten. Das herrschende Polit-Establishment wurde regelrecht abgewatscht, von der Sozial- bis zur Christdemokratie und von den Liberalen bis zu den Grünen. Dass alle jetzt gemeinsam unter Heulen und Zähneklappern das Ende der Demokratie als Menetekel an die Wand malen, ist nichts als schlechter Stil, nämlich ein billiger rhetorischer Trick. Er soll vom eigenen Versagen ablenken und den Wählerinnen und Wählern sagen: Wenn ihr nicht besser wählt, dann habt ihr es nicht anders verdient. Ihr seid die, die es versaut haben. Ihr seid schuld.

In Tat und Wahrheit stellen wir fest, dass der Gehalt an Demokratie in der politischen Kultur der USA grundsätzlich äusserst schwach ist. Keiner Seite steht es zu, von der anderen mehr Demokratie einzufordern. Wenn wir von «Demokratie» mehr erwarten, als dass sie den Menschen zugesteht, alle vier Jahre aus einem Zweierticket auf gut Glück den längeren Halm zu ziehen, dann waren die USA nie eine Demokratie.

Die amerikanische Verfassung entstand 1787. Ausgangspunkt war der Kampf von 13 englischen Kolonien in Nordamerika gegen die Steuerhoheit des britischen Mutterlandes. In der Diskussion um den Verfassungsentwurf standen die Juristen Nordamerikas ganz in der Tradition des englischen Rechts sowie von (damals sehr aktiv debattierten) antiken Staatstheorien. Im alten Griechenland galt die Demokratie nie als ideale Staatsform, sondern als Pöbelherrschaft. Erst, als der gesellschaftliche Friede in Athen in Gefahr geriet, weil sich gesellschaftliche Eliten exzessiv Privilegien zuschanzten, setzten kluge Staatsmänner demokratische Elemente zur Kontrolle dieser Eliten ein. Das war der Kern der Demokratie im antiken Griechenland.

Dieselben Fragen bestimmten 2000 Jahre später in Nordamerika die Diskussion um einen Verfassungsentwurf. Dessen Autoren (James Madison, Thomas Jefferson, John Jay etc. – allesamt Sklavenhalter…) hielten dafür, es sei die Aufgabe der Verfassung, die Minderheit der Besitzenden vor der Mehrheit der Besitzlosen zu schützen. Um die Rechte des Volkes ging es ihnen nie, sondern um den Schutz der eigenen Privilegien.

Das ist der Geist der amerikanischen Verfassung. Von wegen Demokratie! Und es kam noch schlimmer. Als nach dem Ersten Weltkrieg das allgemeine und gleiche Wahlrecht (für weisse Männer) nicht mehr verweigert werden konnte, initiierten Autoren wie Walter Lippmann und Edward Bernays (ein Neffe von Sigmund Freud) Forschungen im Bereich Massenpsychologie, um zu klären, wie das politische Interesse der Bürger – der «verirrten Herde» (Lippmann) – gebremst werden könne. Antwort: durch Konsum, Freizeit, Sport. Tönt heute irgendwie vertraut… Was ihnen zugestanden wird, ist einzig, sie periodisch mitbestimmen zu lassen, welche Elite gerade welche Vorgängerelite beerben darf. Dem sagt man «repräsentative Demokratie». Wer seine Stimme abgibt, hat keine mehr für die nächsten vier Jahre.

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