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Zwei mal zwei = Schulze, reloaded

Während die USA in ihrer Aussenpolitik in Sachen Ukraine Milliarden und Abermilliarden aufwerfen, um – wie sie sagen – mit ihren NATO-Partnern Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen, geben sie in ihrem Innern derzeit ein Schaustück zum Besten, das geeignet ist, zur Nagelprobe dafür zu werden, wie ernst sie es tatsächlich meinen mit den westlichen Werten. Ein Untersuchungsausschuss des Kongresses lässt dieser Tage eine ganze Schar von Zeugen zu Hearings antraben, die sich mit den unsäglichen Bemühungen von Donald Trump befassen, nach seiner Abwahl vom November 2020 doch noch an der Macht bleiben zu können.

Nach fünf Tagen dieser Anhörungen ist die Beweislast gegen Trump erdrückend. Niemand ist im Saal (und dank TV-Übertragung: in der Welt), der sich mit der Sache befasst hat und nicht kristallklar Bescheid wüsste: Donald Trump hat alle Register gezogen und alle Varianten durchdekliniert, um seinen Präsidentenstuhl nicht räumen zu müssen. Beeinflussung von Staatsbeamten in höchsten Ämtern, Einschüchterung von Subalternen, Manipulation des Rechtssystems, Organisation und Aufhetzung eines gewaltbereiten Mobs – alles war dabei. Und Trump, dieser Grossmeister der Fake-news und Chefkolportierer von alternativen Fakten, war sich jederzeit bewusst, dass er sich anschickte, mit seinen Machenschaften die Verfassung der Vereinigten Staaten auszuhebeln. Kein Tatbestand gilt in den USA als schlimmer als dieser.

Wenn dort also die Schlagworte von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten, die in allen aussenpolitischen Debatten zum Überdruss herumgeboten werden, tatsächlich etwas gelten, dann hat das Justizministerium nach Abschluss der Hearings keine Wahl: dann muss es gegen Donald Trump Anklage erheben. Und wenn, was jedem unvoreingenommenen Betrachter der Szene anders nicht möglich erscheint (gewiss, die Unschuldsvermutung gilt und Vorverurteilungen sind unzulässig, wir wissen das…), es zu einer Verurteilung kommen sollte, dann ist Trump für kein weiteres politisches Amt mehr tauglich. Sein Traum von einer zweiten Präsidentschaft wäre gecancelt. Ein Damoklesschwert, das über der westlichen Welt schwebt, wäre schadenfrei entfernt.

Aber wir alle wissen: Es ist so eine Sache mit dem Verhältnis von Justiz und Gerechtigkeit, zumal in den USA. Es schliesst eine nie enden wollende Debatte um das ethische Problem ein, wie die Gesellschaft wieder ins Lot zu rücken ist, wenn sie durch einen Teufelspakt aus den Angeln gehoben wurde. Diese Debatte hat die Schriftsteller aller Zeiten herausgefordert, von Goethe über Gotthelf bis hin zu Friedrich Dürrenmatt.

Dieser hat das Thema mehrfach behandelt. Nach einem frühen Versuch in «Der Richter und sein Henker», wo der Richter dem Bösewicht für das einzige Verbrechen, das dieser nicht begonnen hat, den Henker vorbei schickt, hat er es 30 Jahre danach aus der Mottenkiste seiner Stoffe wieder hervorgeholt. In «Justiz» begeht ein Täter in aller Öffentlichkeit einen Mord, bloss damit er – in der Folge rechtskräftig verurteilt – einen jungen, karrierebewussten Advokaten anheuern und diesen beweisen lassen kann, der Mord habe gar nie stattgefunden. Also bloss, damit er die Justiz ad absurdum führen kann. Das Experiment gelingt; der Prozess wird wieder aufgenommen und der Täter freigesprochen.

Dürrenmatt hatte sein Gaudi an den Grotesken, die er der Welt andichtete. Vielleicht deshalb, weil weder er noch seine Leser eine Vorstellung davon hatten, was 40 Jahre danach an Verfälschung von Wahrheit und Wirklichkeit möglich sein würde, im Zeitalter von Social media und Fake-news. Mittels Micro-Targetting – Facebook, Cambridge Analytica etc. machen es möglich – kann heute das Bewusstsein von Einzelnen und ganzen Gruppen ferngesteuert werden. Das findet unter dem Begriff der «künstlichen Intelligenz» statt, mit welchem sich ganze Wissenschaftszweige und riesige Forschungsapparate befassen. Leider ist ihnen die Frage weniger bedeutsam, wie die künstliche Intelligenz unsere kritische Intelligenz marginalisiert. Wir haben uns an die Verdrehung der Sachverhalte gewöhnt. Niemanden würde es erstaunen, wenn der Untersuchungsausschuss gegen Trump zum Schluss käme, in Wirklichkeit sei alles ganz anders gewesen.

Heute ist es nicht mehr so, dass irgendwo in der Welt etwas Absurdes geschieht, worauf die Schriftsteller die Sache aufarbeiten, indem sie das Absurde überhöhen, um der Menschheit den Spiegel vorzuhalten. Heute ist es umgekehrt. Die Wirklichkeit toppt, was die Literatur vorformuliert hat. Vor 60 Jahren mokierte sich der israelische Humorist Ephraim Kishon über die Art und Weise, wie sich Adolf Eichmann, einer der Hauptorganisatoren des Holocaust, im Prozess in Jerusalem verteidigte. «Zwei mal zwei = Schulze» hiess Kishons Satire, in der ein Richter vom Angeklagten wissen will, wieviel zwei mal zwei ergäben. Dieser schwatzt sich um die Antwort herum. Er könne sich nicht äussern, er sei kein Mathematiker. Er habe sich mit solchen Dingen nie beschäftigt, sondern sie sofort weitergeleitet. Die Entscheidungen seien in jedem Fall von Schulze getroffen worden.

Kishon hatte gut lachen, denn aller Wirklichkeitsverdrehung zum Trotz wurde Eichmann verurteilt. Zwei mal zwei waren halt noch vier. Auch wenn wir heute nicht mehr dafürhalten, dass der Richter gleich einen Henker schicken soll, so wäre es doch wohltuend zu wissen, dass wir uns auch heute noch auf Adam Riese verlassen können, zum Beispiel in den Hearings des parlamentarischen Ausschusses in Washington. Es würde uns zeigen, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit doch noch zu den westlichen Werten zählen.

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