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Versuchen wir's doch mal mit Bürgerkrieg

Die Gefahr eines Absturzes nach hinten, eines Rückfalls in die Bodenlosigkeit des Absolutismus, der unsern Kulturkreis bis 1789 beherrscht hatte, als die Entrechteten mit Bückling entgegennehmen mussten, was den Gnädigen Herren gefallen hatte zu beschliessen, wird immer konkreter. Colin Crouch, der bedeutende englische Soziologe, hatte das Szenario bereits vor mehr als 15 Jahren an die Wand gemalt («Postdemokratie», 2008), und wir hatten ungläubig auf dieses Menetekel gestarrt. Die Verhältnisse haben uns mittlerweile aufgeklärt. Es ist soweit. Wir sind wieder im Ancien Régime angelangt.

Die Stufen seiner Überwindung bis hin zur Demokratie waren die Revolutionen, von der grossen französischen bis zur russischen, aber noch viel mehr die Festschreibungen von deren Errungenschaften: die Verfassungen. Zögerlich tasteten sie sich vor, von 1792, als die konstitutionelle Monarchie in Frankreich verankert wurde (ein halbes Jahr, ehe man den Monarchen köpfte…), bis 1874, als in der Schweiz zum zweiten Mal eine Bundesverfassung festgeschrieben wurde. Diese bereicherte die frühere um das direktdemokratische Instrument des fakultativen Referendums, welches wiederum 1891 um das Initiativrecht ergänzt wurde. (Wie segensreich wäre es, hätten andere Nationen, beispielsweise solche in unserer Nachbarschaft, so etwas auch!)

In diesen frühen Verfassungen ging es um bürgerliche Freiheitsrechte, um die Meinungsäusserungsfreiheit, die Pressefreiheit, die Glaubens-, Gewissens- und Kultusfreiheit und andere mehr (in den USA, dem westlichen Ableger der englischen Staatsrechtslehren des 17. Jahrhunderts, ging es – und geht es bis heute – vor allem um die Freiheit, Waffen zu tragen…). Und es ging, auf der Basis der Schriften eines aufgeklärten Hochadligen, des Barons von Montesquieu, um die Gewaltentrennung. Man unterscheidet heute zwischen horizontal und vertikal. Horizontal: Die Trennung zwischen den Staatsfunktionen Legislative, Exekutive und Judikative. Und vertikal: als Kompetenzausscheidung zwischen den Verwaltungsstufen der Kommune, des Teil- und des Zentralstaates.

Das sind Basics der Staatsrechtslehre in unserer heutigen, aufgeklärten westlichen Welt. Sollte man meinen. Zumal die westlichen Staatslenker nicht satt werden, bei allen möglichen Konflikten von «unserer westlich-demokratischen Grundordnung» zu faseln – um sie dann umso massiver zu verletzen.

Im Unterschied zu seinen europäischen Kollegen (Merz, Macron, Starmer etc.), die sich noch um den Anschein der Aufrechterhaltung dieses Systems bemühen, geht der Präsident der USA in die Vollen. Gewaltentrennung? Nie gehört. Horizontal: Statt die im Parlament beschlossenen Gesetze umzusetzen, macht Trump sich – mittels einer Flut von Präsidialverordnungen – seine eigenen. Er könnte auf die Mitwirkung des Kongresses verzichten, so, wie die französischen Könige auf die Mitwirkung der Generalstände verzichtet haben. Von 1614 bis 1789 wurden sie schlicht und ergreifend nicht mehr einberufen (im Unterschied zu Grossbritannien, wo deren Einberufung früh festgeschrieben wurde). Die 175 Jahre dazwischen heissen Absolutismus.

In Sachen vertikaler Gewaltentrennung hat sich Trump in den letzten Tagen von allem befreit, was die US-amerikanische Rechtstradition gebietet. Er reisst sich die Befehlsgewalt über die Nationalgarde des Staates Kalifornien, über deren Einsatz der Gouverneur befinden sollte, unter den Nagel und setzt 4000 Soldaten gegen die Bevölkerung ein. Darüber hinaus beordert er 700 Marines nach Los Angeles, die sonst nur im Ausland wüten.

Unnötig zu sagen, dass das Vorgehen der Bundesregierung zur Ausweisung von Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere, wogegen sich der Protest der Bevölkerung richtet – was wiederum den jetzigen Armeeeinsatz veranlasste –, jedem Gefühl von Rechtsstaatlichkeit spottet. Unidentifizierbare Autos fahren vor, Beamte (?) ohne jegliche Kennzeichnung treiben zusammen, wessen sie gerade habhaft werden können, beispielsweise Tagelöhner auf Arbeitssuche. 700 sind es pro Tag, seit Trump im Amt ist. Mittlerweile wurde die Quote auf 3000 erhöht. Sans-Papiers, welche bewusst Steuern zahlten (weil sie sich dadurch bessere Chancen auf eine spätere Einbürgerung erhofften), sind bevorzugte Objekte der Ausschaffungsbehörden, weil sie in einschlägigen Steuerbüchern erfasst und leicht zu finden sind. Eltern ohne Aufenthaltsberechtigung, deren Kinder die US-Staatsbürgerschaft haben (weil sie in den USA geboren wurden), werden gefragt, ob sie mit oder ohne Kinder abgeschoben werden wollen. Muss man mehr sagen?

Kalifornien ist ein «blauer», ein demokratisch regierter Staat. Die sind Trumps Allmachtphantasien ohnehin ein Dorn im Auge. Gouverneur Gavin Newsom ist ein wohlhabender Strahlemann, ein 58jähriger Sunny-Boy, dem Ambitionen aufs Weisse Haus bei nächster Gelegenheit nachgesagt werden. Beides qualifiziert ihn in besonderem Masse, Missgunst und Argwohn Trumps auf sich zu ziehen. Seine Verhaftung wurde ihm bereits angedroht.

Wie weit wird Trump gehen? Dass er von verfassungsrechtlich definierter Machtbegrenzung («checks and balances») noch nie etwas gehört hat, zeigt sich tagtäglich. Die Gefahr eines Bürgerkriegs kümmert ihn nicht. Heute hat es uns gefallen, einen Bürgerkrieg zu entfachen... Trump erzählt vor Claqueuren irgendwelche Ammenmärchen, die die Notwendigkeit seiner Massnahmen belegen sollen. Andernfalls stehe die Nation vor dem Abgrund (was die immergleichen Fernsehbilder untermauern sollen).

Folgsam applaudieren die Claqueure. Das ist nicht neu. Zu glauben statt zu denken, war stets ein Kennzeichen des Absolutismus, ohne welches er sich nicht jahrhundertelang gehalten hätte. Es brauchte noch einmal 100 Jahre, um diese Gläubigkeit zu erschüttern und durch Skepsis zu ersetzen. Ob uns das noch einmal gelingt, in unserer Zeit der medialen Massenmanipulation, ist mehr als fraglich.

 
 
 

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