Selber schuld
- Reinhard Straumann

- 27. Feb.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 1. März
Gibt es die transatlantischen Beziehungen noch? Ja, aber anders. Die Welt ist aus den Fugen; wir haben es mittlerweile begriffen. Nichts könnte diese Einsicht besser illustrieren als zwei Abstimmungen, die zu Wochenbeginn diesseits und jenseits des Atlantiks stattgefunden haben.
Die erste gab es am UNO-Hauptsitz in New York. Dort wurde, zum dritten Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine, über einen Resolutionsentwurf debattiert, der an Präsident Putin die Forderung richtet, seine Truppen aus der Ukraine abzuziehen. Die Resolution wurde deutlich angenommen, jedoch bei vielen Enthaltungen und insgesamt 18 Gegenstimmen. Bei einer gleichgelagerten Resolution vor drei Jahren, wenige Tage nach Kriegsausbruch, waren es nur fünf Gegenstimmen gewesen: Russland, Belarus, Nordkorea, Syrien, Eritrea. Jetzt also 18. Die üblichen Verdächtigen sind nach wie vor dabei, dazu – nebst einigen schwarzafrikanischen Staaten, die Russland an der langen Leine führt – neuerdings Ungarn, Israel und… die USA. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Die Vereinigten Staaten von Amerika stimmen in der UNO gegen das westliche Europa, gegen die NATO-Verbündeten, gegen Deutschland, gegen Frankreich, gegen Grossbritannien, aber für Russland. Das hat die Welt noch nicht gesehen.
Die zweite Abstimmung war eine Kuriosität, gedacht als PR-Aktion für Präsident Selenski im ukrainischen Parlament. Anlass war derselbe wie in der UNO. Zum dritten Jahrestag des Kriegsbeginns war eine hochrangige EU-Delegation nach Kiew gereist, angeführt von Ursula von der Leyen, die nicht müde wird, das Geld der EU in die Ukraine zu pumpen. Mit Bezug auf die Aussagen von US-Präsident Trump, der behauptet hatte, selbst in der ukrainischen Bevölkerung bröckle die Unterstützung für Selenski mehr und mehr weg, hatten die Organisatoren eine Resolution im ukrainischen Parlament vorbereitet, die den Beweis des Gegenteils erbringen sollte. Es galt, die ungebrochene Solidarität für Selenski unter Beweis zu stellen… dass nämlich sein Mandat weiterhin gelte, obwohl es nur noch auf der Basis von Kriegsrecht in Kraft ist. Eine Aktion also, die Selenski in Kiew zu jenem Säulenheiligen erheben sollte, als welcher er im westlichen Ausland längst gilt.
Was aber eintrat, war das Gegenteil vom Gegenteil. In Anwesenheit der EU-Kommissionspräsidentin und ihrer Gefolgschaft wurde Selenski vom eigenen Parlament vorgeführt, ja regelrecht abgewatscht. Von 450 Stimmen erhielt er 218, wobei sogar 38 Vertreter seiner eigenen Fraktion leer einlegten. Die öffentliche Demütigung wurde von den amerikanischen Medienvertretern in ihren Kommentaren genüsslich zum Ausblick auf das bald bevorstehende Ende einer Aera genutzt. (Hat bei uns jemand etwas davon gelesen? Im Sinne eines Postskriptums bleibt nur die Frage, weshalb unsere Medienorgane diese Story nicht als mitteilungswert erachteten.)
„Transatlantisch“ betrifft neuerdings also Beziehungen zwischen den USA und Russland. Die EU liegt in der Mitte, zwischen Stuhl und Bank. Ihre Leaderfiguren strampeln verzweifelt gegen den Absturz in die Bedeutungslosigkeit, je nach Charakter und Möglichkeiten. Emmanuel Macron, ganz Franzose und Möchtegern-Haupteuropäer, versucht es mit Charme, scherzte mit Trump anlässlich seines Besuchs im Oval Office, wie wenn sie zusammen die Schulbank gedrückt hätten, und tätschelte ihm vor laufender Kamera die Schultern, Arme und einen Oberschenkel. Igitt! Der Brite Starmer, ein Vertreter der Labour Party notabene, macht es devot. Er hört nicht auf zu versichern, er werde die Rüstungsausgaben des Vereinten Königreiches auf zweieinhalb und später gar auf drei Prozent hochschrauben. Das wären 80 Milliarden Pfund. Und das angesichts des sozialpolitischen Desasters, in welchem seine britischen Landsleute sitzen.
Die Orientierungslosigkeit der europäischen Staatschefs, wie sie Trump begegnen sollen, widerspiegelt das Niveau, auf welchem Europa regiert wird: Ungenügend im Grundkurs 1 Diplomatie. Das Gejammere im Hintergrund ist völlig fehl am Platz, sie sind selber schuld. Dabei sprechen wir nicht nur vom Hauptfehler bei Kriegsbeginn, als sie zuschauten und gar noch applaudierten, als Old Joe Biden Nordstream 2 sprengen liess – und daraufhin von der energiepolitischen Abhängigkeit von einem Kriegsteilnehmer in jene des anderen sprangen.
Nein, wir sprechen hier vor allem davon, dass sie das energiepolitische Desaster noch mit dem moralischen Fiasko toppten. Natürlich sind wir uns bewusst, dass Wladimir Putin ein gnadenloser Diktator und ein Kriegsverbrecher ist. Aber dennoch war es falsch, wie die EU vor drei Jahren in das grosse Lamento der USA einstimmte, das Putin zum einzig kriegsschuldigen Halunken dämonisierte, zum Hitler unserer Tage. (Wie vielen anderen Halunken haben Europas Regierer zuvor die Füsse geküsst…!) Im Falle Putins war es dreifach falsch, nämlich ökonomisch, politisch und moralisch.
Ökonomisch, weil die Sanktionen nicht ihr Zielobjekt trafen, sondern Putin nur stärker machten. Politisch war es falsch, weil sachlich unzutreffend. Wir verzichten an dieser Stelle darauf, abermals die Geschichte von der NATO und Russland seit 1991 nachzuerzählen. Es reicht, wenn wir eine Aussage des US-Verteidigungsministers Austin zitieren, die er 2022 in Ramstein machte, als zehn Tage nach Kriegsbeginn ein unterschriftsreifer Vertrag für einen Waffenstillstand vorlag. Keinesfalls unterschreiben, sagte er, „wir wollen uns die Chance nicht entgehen lassen, Russland nachhaltig zu schwächen“.
Muss man nach diesem Zitat noch mehr zum moralischen Versagen all jener ausführen, die sich mit den westlichen Werten brüsten? Wer so verlogen argumentiert, darf sich nicht wundern, wenn er plötzlich alleine dasteht. Der Rest der Welt (beispielsweise die BRICS-Staaten, die ihre Erfahrungen mit Europa und den USA schon gemacht haben) wendet sich ab. Die Gnadenlosigkeit eines Donald Trump, den nichts anderes als der „Deal“ interessiert, entlarvt die moralische Verkommenheit eines Bündnisses, das gerade untergeht.


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