Stell Dir vor, es ist Krieg, und keiner geht mehr hin. Weil niemand mehr daran interessiert ist, sich totschiessen zu lassen im Namen der Sinnlosigkeit. Jetzt, nach anderthalb Jahren, kommt endlich Bewegung in die Sache, und Bewegung heisst hier: Stillstand. Über fast allen Schützengräben ist Ruh’. Nur selten noch geifern die Scharfmacher der westlichen Medien. Flintenweiber vom Schlag der unsäglichen Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzender des Militärausschusses des deutschen Bundestags, die auf der Basis ihrer Trivialpsychologie (“der wird doch nicht...”) mir-nichts-dir-nichts den dritten Weltkrieg riskieren, schweigen im Walde. Sogar Annalena Baerbock tönt nurmehr vom “Winterschutzschild”, worin wir ihr – sofern damit Energie, Heizung, Kleidung gemeint sind – gerne folgen. Und Kanzler Olaf lässt wissen, es würden keine Taurus-Marschflugkörper unter die Weihnachtsbäume von Kiew gelegt.
Was ist passiert? Old Joe Biden entgleitet seine Innenpolitik (der die ganze Katastrophe von Anfang her geschuldet war). Kein Wunder. Die amerikanische Regierung ist handlungsunfähig, seit gestern die Person mit der dritthöchsten Amtsfunktion im Land, der Speaker des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, vom Hof gejagt wurde. Er war den Hardlinern seiner eigenen Partei (der Republikaner) zu kompromissbereit gewesen.
Wenn bis zum 17.11. kein Budget für 2024 vorliegt, steht der Shut-Down ins Haus. Dann macht die Bundesverwaltung alle Luken dicht und legt aufs Eis, was für den Herz-Lungen-Kreislauf der Staatsverwaltung nicht absolut vital ist. Trifft der Fall ein, dann ist jedermann in den USA betroffen – und allen voran selbstverständlich alle Bundesbeamten, deren Lohnzahlungen dann sistiert würden, von den Aufsehern in den Nationalparks bis zu den Hütern der nationalen Gedenkstätten am Mount Rushmore. Wie soll der Beamte, dem kaum unter die Schildmütze gedrungen ist, wo die Ukraine genau liegt, für solche Perspektiven zu gewinnen sein?
So weit, so plausibel. Aber es würde nicht die Ansage einer grossen Trendwende im Ukraine-Krieg rechtfertigen, ginge es nur um solch simple Vorgänge. Naiv, wer annehmen würde, dass der Abgeordnete Matt Gaetz, der die Abwahl McCarthys initiiert und durchgepeitscht hat, aus eigenem Antrieb gehandelt hätte. Gaetz, ein ehrgeiziger Hanswurst aus Florida, hat sich den Schalthebeln der Macht angedient. Dort, wo die eigentliche Regierung der Vereinigten Staaten sitzt. Das sind die grossen, von der Erdöl- und der Waffenindustrie alimentierten Think-Tanks. Und die Regierung zahlt auch; sie finanziert ihre eigene Schattenregierung.
Vor 25 Jahren hat ein solcher unter dem Namen “Project of a New American Century” den Irak-Krieg ausgeheckt und fünf Jahre später konsequent umgesetzt. Folgen seither: Eine Million Menschen ist dafür gestorben, dass der mittlere Osten weitgehend in die Hände des amerikanischer Investors Halliburtons geriet (sofern sich dieser nicht, weil alles abgegrast war, was abgegrast werden konnte, wieder zurückgezogen hat). Wer gehörte diesem Think-Tank an? Eine Bande von neokonservativen Kriminellen unter Dick Cheney (CEO und Chairman von Halliburton, später Vizepräsident der Regierung Bush), der kleine Bush himself, Donald Rumsfeld, Angriffsminister der gleichen sauberen Gesellschaft etc.etc.
Derzeit spielt sich wiederum ein solcher Think-Tank in den Vordergrund. Es ist die bereits 1948 gegründete “RAND Corporation” (“Research and Development”), die aktuell unter dem Vorsitz von Jason Matheny steht, einem vormaligen Sicherheitsberater von Präsident Biden. RAND, zu 55 Prozent vom Verteidigungsministerium finanziert, “ist eine Forschungsorganisation, die Lösungen zu politischen Herausforderungen sucht, um Gesellschaften auf der ganzen Welt sicherer und wohlhabender zu machen”, lernen wir auf der Homepage. Auch beinhaltet RAND eine Hochschule, die das Ziel hat, die nächste Generation an globalen (also amerikanischen...) Führungskräften heranzubilden.
So weit, so gefährlich. Was derzeit auffällt, ist die Übereinstimmung der Wirklichkeit der amerikanischen Aussenpolitik mit den Strategiepapieren von RAND. 2019 legte RAND eine Studie vor, die auf 354 Seiten minutiös Vorschläge unterbreitete, wie Russlands Kräfte “überdehnt” werden könnten: durch verstärkte Waffenlieferungen an die Ukraine. Durch Schüren der Spannungen im Kaukasus, nämlich zwischen Aserbeidschan und Armenien (haben wir davon nicht grad gelesen?). Die NATO-Partner zwingen, ihre Verteidigungsbudgets auf 2 Prozent zu erhöhen. Militärische Manöver an den russischen Grenzen durchzuführen. Ausstieg aus den Rüstungskontrollverträgen. Russische Erdölexperte zu begrenzen, insbesondere Nord-Stream-2 zu verhindern. Steht alles da. Es ist kaum zu fassen.
Im Januar 2023 hat RAND aber eine neue Studie vorgelegt, die nur noch 32 Seiten umfasst, und diese neue Studie macht den Turn-around. Es wird erkannt, dass die “Demütigung Russlands” ein zu optimistisches Szenario gewesen sei. Man müsse erkennen, dass die Interessen der Vereinigten Staaten nicht zwingend identisch seien mit jenen der Ukraine. Die Kosten seien aus dem Ruder gelaufen und stünden nicht mehr in einem sinnvollen Verhältnis zum Nutzen für die USA.
Was lernen wir daraus? Verschiedenes. Erstens: Der Stab ist gebrochen. Selenskyj hat seine Schuldigkeit getan, Selenskyj kann geh’n. Konzentrieren wir uns auf China. Zweitens: Die politischen Konsequenzen des Geschilderten werden im nächsten Jahr sichtbar werden. Es wäre von grossem Vorteil, wenn Europa und insbesondere Deutschland zur Niederlage stehen und den Prozess beschleunigen würde, um Voraussetzungen zu schaffen, mit Osteuropa (inklusive Russlands) dereinst wieder in ein vernünftiges Verhältnis zu geraten. Drittens: Das Geschäftsmodell, erst ein Land zu zerstören, um die eigene Waffenindustrie zu begünstigen, und es dann wieder aufzubauen, um dieses Land in den Besitz der eigenen Investoren zu bringen, scheint sich in den USA höchster Beliebtheit zu erfreuen. Vor 20 Jahren Halliburton im Irak, jetzt BlackRock in der Ukraine, geil! (Wer kommt wohl als nächtes dran?) Viertens – eine Frage: Wie lange hat Europa vor, sich von den amerikanischen Regierungen, den gewählten wie den Schattenregierungen, missbrauchen zu lassen, um für sie die Kohlen aus dem Feuer zu holen?
Comments