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AutorenbildReinhard Straumann

Rumpelstilzchen in der Echokammer

Eine Woche ist es her, seit Europa gewählt hat, und noch immer ist Heulen und Zähneklappern angesagt unter den Parteien des politischen Establishments, derjenigen, die sich gerne als die «staatstragend» bezeichnen. Angesichts der Schwäche des europäischen Parlaments wird das wenig ändern, aber als Stimmungsbild aus der Wählerschaft und als Vorschau auf die nationalen Wahlen in den Führungsstaaten Europas ist das Ergebnis bemerkenswert. In Deutschland traf es von den Ampel-Parteien am härtesten die Grünen, die – gegenüber der letzten Wahl – sagenhafte 23 Prozent einbüssten. Mit Blick auf die SPD spricht die Opposition genüsslich von der Kanzlerklatsche. Aber sie sitzt einem Irrtum auf. Dass die Unionsparteien zulegen konnten, verdanken sie einzig dem Umstand, dass sie an der Regierung nicht beteiligt sind; ansonsten hätte es sie genau gleich erwischt. In Frankreich sind die Ergebnisse identisch, wogegen Italien – weil mit Signora Meloni bereits eine alternative Kraft werkelt – für einmal den Stabilitätsfaktor bildet. Grossbritannien bleibt wegen des Brexit aussen vor, aber dort wird die einschlägige Erfahrung nicht auf sich warten lassen. Am 4. Juli stehen Unterhauswahlen an.

Auf den ersten Blick fallen die Reaktionen unterschiedlich aus. In Frankreich kündigte Emanuel Macron noch am Wahlabend Neuwahlen an, die bereits Anfang Juli stattfinden sollen. Respekt! Olaf Scholz und seiner Crew würde man ähnliches Format wünschen, aber da ist nichts zu machen. Der wortkarge Hanseate sitzt aus und hofft auf ein Wunder – nächstes Jahr sind Bundestagswahlen. Seiner Pensionskasse wird es zugutekommen, wenn er wenigstens eine Amtszeit vollständig hinter sich bringen kann. Immerhin muss man aber, im Vergleich zu Frankreich, die unterschiedlichen politischen Systeme in Rechnung stellen: Der französische Präsident wird vom Volk auf fünf Jahre gewählt; wie immer die Parlaments-Neuwahlen ausgehen werden, Macron selbst sitzt unverrückbar im Sattel (auch wenn das Regieren für ihn schwieriger werden könnte). Der deutsche Kanzler dagegen wird vom Bundestag gewählt. Würde er Neuwahlen ins Auge fassen, dann könnte er sich jetzt schon aufs Angeln konzentrieren. In einem Punkt jedoch sind sich die Abgewatschten einig: Schuld ist nicht ihre Politik, schuld sind die sogenannten Rechtspopulisten. Wie wenn sie selbst nicht dem Populismus der schamlosesten Art huldigten, und zwar mit rechtsdrehendem Charakter. Die Etikettierung ihrer Gegner mit dem entsprechenden Attribut ist nichts als manipulative Rhetorik.

Wenn man nämlich die Analysen der Welterklärer von den Mainstream-Medien verfolgt, dann beobachtet man erstaunt, dass ein zentraler Grund für das desaströse Wahlergebnis schlicht und ergreifend nie genannt wird: der Krieg in der Ukraine und dessen drohende Eskalation. Weil der Krieg auf amerikanisches Geheiss weitergehen muss, bleibt er als ausschlaggebender Punkt für das bürgerliche Fiasko tabu. Wie wenn es das frohgemute Voranschreiten in die Katastrophe nicht gäbe. In den Kommentaren zur Wahl werden Umfragen zitiert, die Auskunft darüber geben, welche Sorgen die Menschen am stärksten umtreiben. Der Ukrainekrieg resp. dessen ultimative Weiterung steht als Antwortoption nicht einmal zur Verfügung.

Als es, anlässlich der Pressekonferenz der deutschen FDP zum Wahlausgang, der Journalist einer alternativen Zeitung dennoch wagte, den Parteipräsidenten und Finanzminister Lindner einschlägig anzusprechen, hat dieser gelogen: Den Ukrainekrieg weiterzuführen, hat nichts mit den USA zu tun, sondern liegt in unserem ureigensten Interesse. Weshalb? Weil wir sonst millionenstarke Flüchtlingsströme generierten, die auf den Westen – auf «uns» – zurückfallen würden.

Ach, wie schlau! Zuerst provozieren die USA einen Krieg (indem sie 2014 in Kiew einen Staatsstreich veranstalteten und die Ukraine in die NATO locken), dann verhindert man dessen Bewältigung (die im April 2022 schon fast besiegelt war), dann eskaliert man Stufe um Stufe… und schliesslich sagt man: oje, wenn wir jetzt aufhören, gibt es ein Migrationsproblem. Also lass uns weitermachen. Und mit der solchermassen geschürten Angst kann man erst noch den oppositionellen Kräften, den «Rechtspopulisten», das Wasser abgraben, weil die Migration eigentlich deren Thema ist. Während der wirklich beängstigende Grund, der mögliche Atomkrieg, einmal mehr ungenannt bleibt.

Die Europawahl vom vergangenen Wochenende hat glücklicherweise gezeigt, wie klar die Bürgerinnen und Bürger solche Ränkespielchen mittlerweile durchschauen. Da können sich Scholz und Konsorten drehen und wenden wie der Gnom im Märchen. Ach wie gut, dass niemand weiss, dass ich Rumpelstilzchen heiss! Weit gefehlt, wir haben dich längst durchschaut mitsamt deiner Untergnomen. Eine ganze Kavallerie von Rumpelstilzchen hat sich in Stellung gebracht, angeführt von den Grünen, die einmal die Friedenspartei waren und jetzt ihre Wählerschaft schamlos verraten. Aber weil der Veitstanz der ganzen Schwadron in einer Echokammer stattfindet, abgeschirmt von einer medialen Wand, bekommen sie gar nicht mit, wie hellsichtig wir mittlerweile geworden sind. Die nächsten Klatschen für die amerikahörige Kriegstreiberei werden nicht auf sich warten lassen, in Frankreich und in Grossbritannien im Juli, in den USA im November, in Deutschland nächstes Jahr. Die Menschen wollen keinen Krieg, vor allem keinen konstruierten, der nur den USA dient uns nichts angeht. Und die Menschen haben es satt, permanent hinters Licht geführt werden. Es wäre an der Zeit, das endlich zu begreifen. Dann gäbe es auch wieder taugliche Wahlergebnisse.

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