Bis vor kurzem hatten wir einen amerikanischen Präsidenten, dem – um es freundlich auszudrücken – nicht der Ruf vorauseilte, die hellste Kerze in seiner Kirche zu sein. Von Corona wollte er nicht viel wissen, und als ihm seine Berater nach und nach doch einzuflüstern getrauten, dass dieses Virus seine Wiederwahl gefährden könnte, empfahl er so intelligente Lösungen wie das Schlucken oder die intravenöse Verabreichung von Desinfektionsmitteln. Meist aber tat er so, wie wenn von Covid-19 keine Gefahr ausginge. Er ignorierte die Seuche und verbreitete die Frohbotschaft, dieses Virus werde so sang- und klanglos verschwinden, wie es gekommen sei. Wohl verhält sich die gegenwärtige amerikanische Regierung in Sachen Pandemie geradezu mustergültig, aber 500'000 Menschen waren bereits gestorben, als Biden übernahm.
Trump galt (und gilt) als Irrlicht am Firmament der internationalen Politik, man hätte ihn deshalb, als dieser Kelch endlich an der Weltöffentlichkeit vorbeigegangen war, als singuläres Phänomen abhandeln und ad acta legen können. Hätte… wäre da nicht der schweizerische Nationalrat, der die trump’sche Ignoranz zum Credo erheben möchte und vom Bundesrat verlangt, sich genau so zu verhalten wie der Commander in Chief des amerikanischen Rechtspopulismus. 97 Nationalrätinnen und -räte fordern vom Bundesrat eine Politik nach dessen Muster: So zu tun, als wäre das Virus nicht da. Zu glauben, dieses verschwinde wieder, wie es gekommen sei. Nicht die Politik auf Fakten abzustützen, nicht das eigene Handeln wissen-schaftlicher Evidenz zu unterziehen, sondern auf der Basis einer aufgestachelten Bevölkerung zu regieren, die nur ein Bauchgefühl kennt: Genug ist genug, wir haben fertig. Mit dümmlichen populistischen Parolen wird der Menge suggeriert, diese intellektuelle Nullnummer sei tatsächlich eine politische Option. Die der Vernunft zuneigenden Bundesrätinnen und -räte (immer noch die Mehrheit!) werden als Diktatoren beschimpft und zum Rücktritt aufgefordert. Wie wenn sie das Virus erfunden hätten.
Nichts passt besser zu dieser Farce als der Umstand, dass die Wirtschaftskommission eben dieses Nationalrats exakt denselben Umgang mit der wissenschaftlichen Task-Force empfiehlt, den Trump mit seinem Corona-Berater Fauci gepflegt hatte: kurze Leine und Maulkorb, wie für einen Kampfhund. Die Wissenschaft soll schweigen in der Gemeinde. Würde sie zu erfolgreich Aufklärung betreiben, dann würden die Leute am Ende noch einsehen, dass es zu einer vorsichtigen Öffnungspolitik keine Alternative geben kann, dass sie Sinn macht und von Verantwortung getrieben ist. Und dann würde die Strategie nicht aufgehen, die das eigentliche Ziel der ganzen Übung ist: Zu verhindern, dass das Gastgewerbe und die ganzen KMUs, Ich-AGs und Kulturschaffenden endlich Geld zu sehen bekommen. Nachdem man die Grosskonzerne, die dividendengenerierenden «Systemrelevanten» einmal mehr mit Steuergeldern aus dem Sumpf gezogen hat, finden SVP, FDP und sogar die sogenannte Mitte, jetzt sei genug Geld ausgegeben. Wenn wir jetzt auch noch diejenigen bedienen würden, denen das Geld längst versprochen ist, die davon aber noch nichts gesehen haben, dann wäre der Schuldenberg nicht mehr zu bewältigen. Deshalb bleibe nichts anderes als die Öffnung, und zwar auf Gedeih oder Verderb. Denn vom Moment der Öffnung an würde es statt Geld halt wieder Menschenleben kosten. Aber die stehen offenbar weniger hoch im Kurs.
Würden solche Fakten und Überlegungen authentisch kommuniziert, dann wäre das der politische Selbstmord des Bürgerblocks. Deshalb die Ablenkungs- und Projektionsstrategie, den Bundesrat im Innen- und Gesundheitsministerium als Diktator zu bezeichnen und der Menge zum Frass vorzuwerfen, damit das Wirtschafts- und das Finanzministerium aus der Schusslinie genommen ist. Denn deren Vorsteher stammen aus jener Volkspartei, deren Strategen aktuell wieder am heftigsten geifern.
Das Referendum gegen das Covid-19-Gesetz steht. Die Stimmbürgerinnen und -stimmbürger werden im Juni entscheiden. Sie werden darüber befinden, wieviel Kompetenzen dem Bundesrat zugstanden werden sollen in der Seuchenbekämpfung. Das ist eine wichtige Frage, auch im Hinblick auf staatspolitische Erwägungen in einem demokratischen Staat. Aber ein vernunftbasierter Entscheid ist nur dann zu erwarten, wenn mit offenen Karten gespielt wird. So wie jetzt, ist das Gegenteil der Fall. Die Faktenlage wird zur Unkenntlichkeit verschleiert, die Politik der bürgerlichen Parteien zieht ihre Winkelzüge im Nebulösen. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger populistisch einzuseifen, damit sie eben gerade nicht en connaissance des causes entscheiden sollen, sondern aus ihrem Bauchgefühl heraus, das ist das Ziel der aktuellen bürgerlichen Kampagne. Mehr Licht in Form einer Nebelleuchte - durch eine unabhängige Medienberichterstattung - wäre dringend erwünscht.
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