Erstmals in seiner jungen Amtszeit folgt US-Präsident Joe Biden einem Entscheid seines Vorgängers Trump: Unter den beiden Rivalen des Wahlkampfs vom letzten Herbst besteht offenbar Einigkeit, dass es tunlich sei, die in Afghanistan verbliebenen US-Truppen abzuziehen und damit einen 20jährigen, unseligen Krieg zu beenden. Bring the Boys home! – damit konnte in der amerikanischen Innenpolitik noch immer gut gepunktet werden. Biden ritzte nur den Terminentscheid Trumps, der das Feld bereits am 1. Mai geräumt haben wollte, und setzte den 11. September als Fixpunkt.
Nine eleven also. Aus der Ferne betrachtend, gewinnt man nicht den Eindruck, das breite amerikanische Publikum verfüge über ein ausgeprägtes historisches Bewusstsein. Im Gegenteil – wo aufklärerisches Geschichtsverständnis Not täte, ist man auf nationalistische Geschichtsklitterung versessen. Exakt dieses Publikum, das willfährig auf verklärende patriotische Symbole anspricht, bedient Biden mit seiner Terminierung. Er gibt zu verstehen, dass er eine Wunde schliessen möchte, die vor 20 Jahren aufgerissen wurde.
Der 11. September 2001 ist ein magisches Datum (den unzählig zu erwartenden historischen Reprisen sehen wir mit grosser Skepsis entgegen). Es ist ein Datum, das die Welt veränderte. Ein Datum, das wir alle in Erinnerung halten und präzis noch wissen, wo wir damals waren, was wir gerade taten. Es ist das Datum, das mit einem Mal die These Francis Fukuyamas vom «End of History» ad absurdum führte, die er nach dem Sieg des Kapitalismus über den maroden Ostblock in die Welt posaunt hatte. Der 11. September schlug uns die Wirklichkeit um die Ohren: Die Geschichte bewegt sich doch.
Bereits am Abend des 11. Septembers 2001, nachdem zwei entführte Flugzeuge drei Türme des World-Trade-Centers zum Einsturz gebracht hatten (rechne!) erkläre der damalige Präsident Bush jr. den «Krieg gegen den Terror». Als Schuldiger wurde sogleich – bevor eine ernstzunehmende Untersuchung auch nur in Angriff genommen werden konnte – Osama bin Laden identifiziert, unbeachtet des Umstands, dass er jegliche Beteiligung stets von sich wies; dabei gehört das Bekennen von Terroranschlägen absolut in das Tätermuster des Al-Qaida-Umkreises. Weil Afghanistan offenbar Osama Unterschlupf gewährte, wurde am Hindukusch der nordatlantische Bündnisfall (NATO) ausgerufen… Eigentlich hätte die Bush-Regierung schon damals, wie seit 1997 geplant, viel lieber den ölreichen Irak angegriffen, aber eine Verbindung zwischen Saddam Hussein und 9/11 liess sich beim besten Willen nicht konstruieren. Also tischte die gleiche Regierung – Kriegsgurgeln wie Vizepräsident Cheney oder Angriffsminister Rumsfeld – der Weltöffentlichkeit zwei Jahre später die Fiktion auf, Saddam sei im Besitz von Massenvernichtungswaffen, sodass sie schliesslich doch noch den Irak zerstören durften. Eine schlimmere Bande von Kriegsverbrechern hat die westliche Welt seit dem Nationalsozialismus nie gesehen als diese US-amerikanische Regierung zwischen 2001 und 2009. Keiner von ihnen musste sich je vor einem Kriegsgericht verantworten.
All dies möchte Biden jetzt gerne hinter sich lassen, und das heisst: hinter der amerikanischen Geschichte. Das Unheil ist angerichtet, es hat mehr als einer Million Menschen den Tod gebracht. Der ganze mittlere Osten ist destabilisiert. Die Taliban, die den Islamischen Staat ausgerufen haben, warten in Afghanistan jetzt nur darauf, dass die NATO das Feld räumt. Nichts interessiert die USA offenbar weniger als das, was sie vor 20 Jahren zum Ziel ihrer Militärschläge erklärten: dem Terror entschlossen entgegen zu treten und Demokratie zu ermöglichen. Mehr Terror als die Taliban jetzt unter die afghanische Bevölkerung säen werden, mehr Frauenunterdrückung, als dieser Zivilgesellschaft jetzt bevorsteht, war nie. Demokratie in die Region bringen? Ein Hohn. Nach uns die Sintflut.
Wenn Biden in Verbindung mit 9/11 aus dem Schatten seiner Vorgänger heraustreten wollte, dann sollte er sich nicht einer läppischen Symbolsprache bedienen, sondern müsste ernsthaft die Fragen zulassen, die von allen westlichen Leitmedien seit 20 Jahren systematisch tabuisiert werden. Das heisst: Er müsste 9/11 neu untersuchen lassen. Weshalb sind nach der Attacke zweier entführter Flugzeuge drei WTC-Türme in sich zusammengestürzt? Eine baustatische Untersuchung der Universität Alaska Fairbanks hat 2019 schonungslos den Beweis erbracht, dass WTC-7 durch Sprengung zum Einsturz kam. Es interessiert offenbar niemanden. Weshalb wurde Afghanistan angegriffen, wenn doch alle Indizien auf saudiarabische Hintergründe hinwiesen, die mit den USA befreundete Nation? Und weshalb durfte ausgerechnet ein Flugzeug voller Saudis nach der Schliessung des Luftraums noch ausfliegen? Wie kann es sein, dass es vor den Anschlägen ein Insiderwissen gab, das sich in Verlustspekulationen betreffend die Fluggesellschaften American Airlines und United Airlines (deren Maschinen entführt worden waren) respektive von im World-Trade-Center domizilierten Unternehmungen (Bank of America, Merrill Lynch, Citigroup, J.P. Morgan) kristallklar manifestierte? Die Insider, die die Optionen wahrnahmen, auf die sie spekuliert hatten, verdienten 30 Millionen Dollar damit. Und auch die Frage, weshalb sich ausgerechnet am Tag der Anschläge die gesamte US-Luftabwehr, die sonst jede in ihren Luftraum eindringende Möve registriert und abfangen kann, im kollektiven Tiefschlaf befand, treibt niemanden um.
Antworten auf all diese Fragen (und noch sehr viele weitere) würden uns brennend interessieren. Der offizielle Untersuchungsbericht gibt auf sie keine oder höchst unbefriedigende Antworten; er stützt sich im Wesentlichen auf unter Folter erzwungene Aussagen von Guantanamo-Häftlingen ab. Die Suggestivkraft des «Kriegs gegen den Terror» und die geschlossene Phalanx der westlichen Presse, die all jene Historiker und Journalisten als nicht ernst zu nehmend abqualifizierten, die die genannten Fragen auch nur zu stellen wagten, haben ein Klima der Aufklärungsverweigerung geschaffen. Es wird die westliche, pro-amerikanische Geschichtsschreibung in Zukunft stärker belasten, als sie es erahnen kann. Hier wäre Mut vonnöten, und zwar deutlich mehr, als ihn Biden mit seinem Afghanistan-Abzug am 11.9. aufbringt.
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