Leise rieselt der Kalk
- Reinhard Straumann
- vor 9 Stunden
- 4 Min. Lesezeit
Die Systeme der selbsternannten Hüter der Demokratie bröckeln, sie können Geschlossenheit in ihrer Konzeptlosigkeit vorspielen, so sehr sie wollen. Das ist zwar nicht neu, aber es ist immer erbaulich, wenn sich die Indizien dafür häufen. In den USA pfeifen die Gerichte Donald Trump in seiner schwachsinnigen Zollpolitik zurück, und zwar mit der Begründung, er habe die verfassungsgemässe gegenseitige Kontrolle der Gewalten nicht gewahrt. In Deutschland spielt sich Kanzler Merz als der Designer einer neuen Aussenpolitik auf, ohne zu wissen, wohin ihn sein Design führen soll. Mal markiert er den grossen Macker und schwafelt von Waffenlieferungen für die Ukraine ohne Distanzbeschränkung (womit nur der Taurus gemeint sein kann, mit welchem Selenski den Kreml in Schutt und Asche legen könnte), mal kühlt er seinen Mut (andere würden sagen: seine Verantwortungslosigkeit und seinen Irrsinn) mit der Behauptung herunter, das habe längst so gegolten), womit er u.a. seinen Vizekanzler Lars Klingbein desavouiert – von der Mehrheit der Bevölkerung ganz zu schweigen. Man stelle sich vor (oder lieber nicht…): Sollte der Taurus geliefert werden und würde der um sein politisches Überleben kämpfende Selenski davon Gebrauch machen, dann ist damit zu rechnen, dass das die eine von Putins roten Linien zu viel gewesen wäre.
Der Taurus wird im bayrischen Schrobenhausen produziert, einem sonst idyllischen Städtchen mit mittelalterlichem Kern in Oberbayern, keine 150 Kilometer vom Bodensee und der Schweizer Grenze entfernt. Zu zwei Dritteln ist Taurus Systems GmbH Deutschland beteiligt und zu einem Drittel Saab Dynamics Schweden. Hauptinvestoren sind BlackRock D und Vanguard S. Und wer war schon wieder Aufsichtsratsvorsitzender bei BlackRock? Ach ja, Friedrich Merz.
Was wohl, interessante Frage, würde den russischen Generälen als erstes Objekt der Bombardierungs Deutschlands ins Auge stechen? Richtig, die Idylle nahe der Schweizer Grenze. Damit wäre es dann ziemlich rasant vorbei. Die Europäer – Merz, Macron, Starmer, Tusk, von der Leyen (letztere nie gewählt, sondern wie die Jungfrau zum Kind zu Amt und Würden gekommen) –, so ratlos, dass sie sogar auf Trumps nächstes Dribbling vertrauen müssen, hangeln sich von Drohgebärde zu Drohgebärde, wohlwissend, dass der Krieg längst verloren ist. Ihn weiter zu führen, geht angesichts der sozialen Zustände in die sie die leading nations of EU geritten haben, ebenso wenig. Wenn die USA aus dem Engagement für die Ukraine zurückziehen, ist Ende Gelände. Damit ist aber zu rechnen, denn im Unterschied zu den Europäern hat Trump durchaus ein Konzept: Aus den finanziellen Zuwendungen aussteigen, sich die investierten Summen (die – gemäss Old Joe Biden – zu 90 Prozent eh in der US-Waffenindustrie hängen geblieben sind, also die USA nie verlassen haben) um ein Mehrfaches in Form von Bodenschätzen „zurück-“ erstatten zu lassen und die Europäer auf die milliardenhohen Folgekosten zu verpflichten (in Form der Kontrolle einer entmilitarisierten Zone).
Ein weiteres Beispiel von Konzeptlosigkeit bietet, bei aller bornierten Sturheit, Benjamin Netanjahu. Neuestens hat er getönt, der Hamas-Chef Mohammad Sinvar sei tot. Was sollen wir von solch einer Mitteilung halten? Vielleicht sogar, dass sie wahr ist – womit aber nichts ausgesagt wäre über den Zeitpunkt von Sinwars gezielter Tötung (soviel zum Thema Rechtsstaat). Der internationale Druck gegen Netanjahus Völkermords-Attacken im Gaza-Streifen hat aber in wundersamem Ausmass zugenommen (die Botschaft hör‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube..). Sogar die Bundesrepublik, die mit geradezu schamloser Beharrlichkeit Waffen nach Israel lieferte und von Völkermord nichts wissen wollte, tastet sich langsam (unter dem Druck Macrons) Richtung sanftester Kritik vor (wie halt grad der Wind weht). Und in der Gefolgschaft, wie meistens: die Schweiz mit ihrem Aussenminister Cassis. Netanjahu jedoch kündigt derweil die neuesten und grössten Ausweitungen der israelischen Siedlungen in den Westbanks an. Man komme mir bloss nicht mit dem Recht auf Selbstverteidigung! Die Art und Weise, wie hier Menschen- und Völkerrecht mit Füssen getreten wird, unter jahrelang freundlichster Beobachtung des Westens, ist schlicht und ergreifend zum Kotzen.
Netanjahus Traum von Grossisrael – am besten mit der Riviera Gaza für die Reichen und Schönen dieser Welt, bestückt mit mehreren Trump-Towers – zerflettert nicht nur am arabischen Umland, sondern primär an der Unmenschlichkeit des Führers himself und seiner Unglaubwürdigkeit, die verbliebenen Geiseln zurückholen zu wollen. Darum ging es ihm nie. Seine Politik war nichts anderes ausgerichtet als auf die militärische Eroberung des Gazastreifens und die Unterfütterung dieser Rambomethoden mittels Soft-Power.
Darunter zählt natürlich das Ausspielen der unbestrittenen 2000jährigen Opferrolle, die im monstruösesten Verbrechen der Menschheitsgeschichte kulminierte. Hierin schliessen wir uns an, wenn auch jeder Bonus irgendwann einmal verspielt ist. Ich hätte verzichtet, die Thematik der Soft-Power aufzugreifen (wer sie hat, setzt sie ein…), hätte nicht vor zwei Wochen in Basel der Eurovision Song Contest stattgefunden. Pro-Palästinensische Demonstrationen hatten den Ausschluss Israels verlangt. Begründung: siehe oben. Seither haben aber france24.com, timesofindia.com, middleeastmonitor.con, apnews.com und auch der Wall Street Journal Report übereinstimmend berichtet, dass dem israelischen Aussenministerium ein gutes Abschneiden Israels so wichtig gewesen sei, dass ihre Botschafter in geeigneten Ländern Einfluss auf diese genommen hätten. Nämlich in Sachen Bepunktung des poppigen Liederguts durch die diversen Nationen: bitte maximal für Israel. Ganz abgesehen vom Sponsoring durch Israel nahestehende Grossunternehmungen…, wodurch gesichert war, dass die pro-palästinensischen Appelle Schall und Rauch blieben. Russland war zu weniger als Schall und Rauch verurteilt. Es blieb ausgeschlossen, weil es einen Angriffskrieg führt. Aha.
Langsam zähle auch ich zu den alten, weissen Männern (weiss bin ich definitiv). Trotzdem verstehe ich die Kritik an dieser Kaste je länger desto besser. Verantwortungs- und konzeptloser, dümmer geht nimmer. Leise rieselt der Kalk. Hoffentlich macht es die nächste Generation besser.