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Komplett den Kompass verloren

Deutschland hat im 20. Jahrhundert zwei Weltkriege verloren. Heute müssen wir mit Bedauern feststellen, dass der Lerneffekt gering war. Nachdem bald ein Viertel des 21. Jahrhunderts verstrichen ist, scheint die heilsame Wirkung der unmittelbaren Nachkriegszeit («Nie wieder Krieg!») verpufft. Innerhalb der Regierungskoalition und – noch deutlicher – in demjenigen Teil der Opposition, welcher zweifelsfrei im nächsten Kabinett wieder an der Regierung beteiligt sein wird (CDU/CSU), gibt es zahlreiche Verantwortungsträger, welche, volle Kraft voraus, am dritten Weltkrieg arbeiten. Oder sollte man besser schreiben: Verantwortungslosigkeitsträger?

Wie zur Bestätigung dieses Befundes haben sich letzte Woche vier Generäle der Bundeswehr – darunter kein geringerer als der Chef der Luftwaffe, Ingo Gerhartz – im Rahmen einer 37minütigen Videokonferenz darüber ausgetauscht, wie man der Ukraine den Marschflugkörper Taurus zuführen könne, und zwar gegen den erklärten Willen des Kanzlers (der – zum Glück! – als einziger noch eine gewisse Zurückhaltung wahrt). Als mögliches Ziel für den Taurus hatten sie bereits die Krim-Brücke ausgeguckt, und zusätzlich bekannten sie ganz selbstverständlich, dass westliche Militärs längst in die Kriegshandlungen Kiews integriert seien. Auch Vertuschungsstrategien unter Zuhilfenahme britischer Militärberater, damit Deutschland vermeiden könne, als offene Kriegspartei zu erscheinen, wurden in aller Sorglosigkeit erwogen. Zum Glück waren sie doof genug (Generäle halt…), sich abhören zu lassen, sonst hätten wir nie davon erfahren. 

Es ist ein Super-GAU, der alles in sich vereinigt, was einem Staat nie passieren dürfte. Eine Demütigung des Kanzlers. Ein Riesenskandal. Er müsste, wenn wir die Bundesrepublik nach wie vor guten Gewissens als Rechtsstaat bezeichnen könnten, dramatische Konsequenzen haben. Die Rechtsnorm, die das Grundgesetz vorgibt, ist eindeutig. Im ersten Absatz des Artikels 26 steht klipp und klar: «Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.» Ergo wäre es die Pflicht des Verteidigungsministers Pistorius, sofort zurückzutreten, oder, sollte er sich davor drücken, die Pflicht des Kanzlers, ihn umgehend zu entlassen. Auch die fraglichen Offiziere gehörten gefeuert. Aber nichts dergleichen geschieht. Olaf Scholz, angeschlagen, wie er ist, wird sich hüten, Pistorius, den beliebtesten seiner Minister, in die Wüste zu schicken. Und Pistorius selbst hat nicht die geringste Lust, seine Generäle freizustellen, die er für die Wägsten und Besten hält (wie gut sind denn die anderen?).

Was also bleibt als Handlungsmuster, um den geneigten Wählerinnen und Wählern Entschlossenheit und Tatkraft vorzuspielen? Ganz einfach: Man deutet den Skandal um. Mit Hilfe des gesamten Instrumentariums der Meinungsmache tritt man der Bevölkerung gegenüber so auf, als wären nicht die Tatsache des abgehörten Gesprächs und dessen Inhalte skandalös, sondern der Umstand, dass Russland das Gespräch abgehört hat. Dementsprechend feuern seit einer Woche die deutschen Mainstreammedien ganze Breitseiten auf Russland ab, und in jeder Talkshow, von Maibrit Illner bis Markus Lanz, wird Zeter und Mordio geschrien.

Es ist, einmal mehr, die klassische Täter- und Opfer-Umkehr. Man erkennt das Muster, mit welchem Julian Assange in den Gefängnissen Grossbritanniens und der USA langsam zu Tode gebracht wird: Nicht der ist schuld, der ein Verbrechen begeht, sondern der, der dieses an die Öffentlichkeit bringt. Nichts ist in den Augen der Regierungen des Westens verwerflicher, als ihm seine Doppelmoral hieb- und stichfest unter die Nase zu reiben. Im vorliegenden Fall ist nicht die Bundesrepublik in Gestalt von vier ranghöchsten Offizieren, die sich ohne Scheu an der Vorbereitung vor Kriegshandlungen beteiligen, der Aggressor, sondern wieder einmal Wladimir Putin. Aus dem Umstand, dass dieser sich getraut zu tun, was jeder Geheimdienst dieser Welt tut (nämlich Gespräche des Feindes abzuhören), wird einmal mehr seine moralische Verkommenheit abgeleitet und daraus der Schluss gezogen, dass es in der Unterstützung der Ukraine kein Nachlassen geben dürfe, im Gegenteil – am bestens mittels Taurus.

Fazit? Der Westen hat komplett den Kompass verloren. Er wird von Staatschefs regiert, die in ihrer blinden Gefolgschaft hinter Joe Biden nicht die Interessen ihrer Länder und ihrer Bevölkerungen wahren, sondern – zufolge einer amerikanischen Befehlsausgabe – die Interessen der Gesamtheit der westlichen Welt, und die den Anschein geben, als seien sie bereit, dafür einen dritten Weltkrieg zu riskieren (fatalerweise ist im Laufe der letzten Tage auch Emanuel Macron auf diesen Zug aufgesprungen). Merken sie nicht, dass sie sich damit von ihren Wählerschaften distanzieren? Die jüngste Umfrage aus Deutschland zeigt, dass 58 Prozent der Bevölkerung gegen die Taurus-Auslieferung sind.

Doch, natürlich sind sie sich dessen bewusst. Aber ihre Konsequenz ist nicht etwa eine Kurskorrektur, sondern die Verschärfung von Massnahmen zur Kontrolle der öffentlichen Meinung. Entsprechend werden Gesetze geschaffen, welche sich dem Wortlaut nach gegen «Rechtsextreme» richten, gegen die «Verbreitung von Fake-news» in den sozialen Netzwerken, gegen die Finanzzuschüsse an oppositionelle Parteien etc. Das heisst, die Rechtslage wird in dieser Hinsicht umgestaltet, die leicht gegen die Demokratie an sich gerichtet werden kann. Man fragt sich langsam, ob nicht darin das eigentliche Ziel liegt. Nancy Faeser, die deutsche Innenministerin, lässt grüssen.

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