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AutorenbildReinhard Straumann

Jungfreisinnige aller Kantone, vereinigt Euch!

Wer die Welt nicht nur von heute auf morgen und nicht nur für sich allein betrachtet, dürfte eigentlich – so empfindet es der aufgeklärte Betrachter – in der Frage um das CO2-Gesetz keine Alternative kennen. Endlich haben die eidgenössischen Räte sich gefunden, ist die Vorlage abstimmungsreif. Als die SRG Ende April der Bevölkerung ein erstes Mal den Puls nahm und eine Umfrage bezüglich der am 13. Juni bevorstehenden Abstimmung durchführte, schien auch alles in trockenen Tüchern: 60 Prozent der stimmberechtigten Schweizerinnen und Schweizer hätten die Vorlage befürwortet. Das Gesetz wäre schlank durchgegangen. Aber, nicht zuletzt durch diese Umfrage aufgeschreckt, seither macht die Erdöl-Lobby mobil und buttert Hunderttausende von Franken in den Abstimmungskampf. Und tatsächlich hat das Nein-Lager massiv aufgeholt. Die zweite SRG-Umfrage, exakt vier Wochen nach der ersten, sieht nur noch 54 Prozent Ablehnung. Wieder einmal droht eine Vorlage zu scheitern, die im Gesetzgebungsverfahren alle Hürden genommen und die Debatten in beiden Parlamentskammern überstanden hat – was ja bei einer Ökologievorlage aussagekräftig genug ist. Jetzt muss man einmal mehr befürchten, dass der gesunde Menschenverstand auf der Strecke bleibt.

Interessant ist, wer sich dabei vor den Karren der Konzerne spannen lässt. Während weite Teile der Schweizer Wirtschaft und auch der FDP das Gesetz befürworten, gibt es ausgerechnet aus dem Kreis des Jungfreisinns Widerstand – derjenigen Alterskategorie, die sich doch am meisten Sorgen machen müsste. Während ihre Jahrgänger aus anderen Parteien sich um den Planeten sorgen und befürchten, das CO2-Gesetz sei zu zahnlos angesichts der fortgeschrittenen Klimaerwärmung, lässt sich ein «liberales Komitee für eine wirksame Umweltpolitik» von den Erdölimporteuren ins Gefecht beordern, bestehend aus einem Who-is-Who des sogenannt „liberalen“ politischen Nachwuchses der Schweiz. Die Gruppe ist so homogen, dass man gar – analog zur Internationale des Sozialismus, der grossen Gründerkraft der Arbeiterbewegung vor 150 Jahren – von einer Art «Interkantonalen» des Jungsfreisinns sprechen könnte. Jungfreisinnige aller Kantone vereinigt Euch, damit wir so weitermachen mit der Erderwärmung wie bis jetzt.

Der Kampagnenleiter Alain Schwald, Kantonsrat im Kanton Zürich für die FDP, ist hauptberuflich Projektmanager und Assistent des Geschäftsführers der «AVIA Vereinigung unabhängiger Schweizer Importeure von Erdölprodukten» (wovon selbstverständlich im Medienauftritt seines Komitees nichts zu lesen ist). Um ihn herum scharen sich die Gspänli aus dem Vorstand der Zürcher Jungfreisinnigen, aber natürlich ist auch der Aargau vertreten, der Thurgau, das Baselbiet und – nicht zu vergessen – der Vorstand der Libertären Partei Schweiz.

Weshalb, um alles in der Welt, geben sich junge Menschen dazu her, für die Konzerne der Erdölbranche die Kohlen aus dem Feuer zu holen? Ist es Ignoranz? Zynismus? Beides spielt eine Rolle. Vor allem aber sehen sie auf der Leiter ihres persönlichen Vorankommens die Chance, sich ein paar ewiggestrigen Wirtschaftsgrössen anzudienen. Sie wollen sich verdient machen, sich im Bewusstsein derer festsetzen, die die einträglichen Posten verteilen. Auf zum nächsten Gefecht des Karrierismus!

Es ist geradezu erschütternd, dass man so jung sein und so wenig Ideale haben kann. Noch erschütternder ist nur die Einfallslosigkeit ihrer Argumente. «Weniger Freiheit, mehr Staat», ist da zu lesen, der Umkehrschluss des Mantras der Neoliberalen, dass weniger Staat mehr Freiheit bedeute. Gewiss gibt es mehr Freiheit, wenn der Staat den Konzernen alle Deregulierungswünsche von den Augen abliest: nämlich mehr Freiheit für das Kapital. «Ineffizient, teuer und wenig wirksam» ist der nächste Ladenhüter aus dem Arsenal der argumentativen Rohrkrepierer, Worthülsen, die jeden Kommentar überflüssig machen. Aber mit der Aussage, die Vorlage sei ein „Unfaires Lobbyisten-Gesetz“, schiessen die Jungpolitiker den Vogel ab. Ausgerechnet die Erdölindustrie wirft ein paar NGOs Lobbyismus vor… mit besten Grüssen aus Absurdistan.

Das hohe Lob, das sich die Klimajugend für ihren Mut verdient und für ihr Bemühen, in grösseren Dimensionen zu denken, globale Horizonte ins Auge zu fassen, wird hier auf fatale Weise konterkariert. Schonfrist für unsern Planeten? Im Prinzip ja, aber nicht, wenn ich gerade dabei bin, mich in meiner persönlichen Komfortzone einzurichten. Leidvoll an der ganzen Sache ist, dass sich die gemeinnützig denkenden Aktivisten (zu) oft ausserhalb der vorgegebenen politischen Strukturen engagieren, während die Karrieristen mit einem Bachelor in der Juristerei zielgerichtet Stufe für Stufe der politischen Leiter erklimmen. Welcher Weg derjenige ist, die eigenen Anliegen zielgerichtet durchzubringen, steht leider von vornherein fest. Aber auch, welches Denken uns weiterbringen würde.

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