Jeff Bezos, der reichste Mann der Welt, hat sich einen Jugendtraum erfüllt. Er liess sich in einer Kapsel von einer Trägerrakete seiner Firma «Blue Origin» 105 Kilometer über Meereshöhe ins All befördern (das nach geltender Übereinkunft mit der Kalman-Linie bei 100 Kilometern beginnt), genoss vier Minuten lang die Schwerelosigkeit und landete nach einem Flug von insgesamt 10 Minuten und 10 Sekunden wohlbehalten in der Wüste von West-Texas. Bezos liess sich von seinem Bruder begleiten und von einer 82-jährigen Frau, deren Karriere als Astronautin vor 50 Jahren an den Gender-Gegebenheiten gescheitert war, sowie von einem 18-jährigen Maturanden aus den Niederlanden, dessen Vater dem Sprössling den Flug ermöglicht hatte. Denn der Sohn hatte von Kindsbein an davon geträumt, einmal ins All zu fliegen.
Das sind natürlich starke Gründe, vor allem, wenn der Vater Kindskopf genug ist, die Wünsche des Filius’ als Auftrag einzuordnen. Und wenn die nötigen Milliarden vorhanden sind, zwanzig Millionen für den Trip eines Halbwüchsigen ins All aufzuwerfen. Oder waren es vielleicht nur zehn Millionen? Wie man liest, ging der Zuschlag für den vierten Platz in der Kapsel zunächst für 28 Millionen Dollar an eine nicht genannte Person, die dann wegen Terminkollisionen zugunsten des fliegenden Holländers verzichtete, dessen Papa aber «viel weniger» bezahlt habe. Man darf also spekulieren. Immerhin gab der Sohnemann per Videobotschaft der Welt artig zu verstehen, er freue sich wahnsinnig und habe «sein ganzes Leben lang» davon geträumt. Was Wunder!
Jeff Bezos ist nicht der einzige unter den Milliardären dieser Welt, die nach den Sternen greifen. Richard Branson, ein 70-jähriger britischer Multiunternehmer, der seine ersten Millionen im Musikbusiness gemacht hatte, erhielt vor wenigen Wochen für seine Firma «Virgin Galactic» eine Lizenz für «sub-orbitale Flüge für Weltraumtouristen». Neun Tage vor Bezos stieg Branson auf 80 Kilometer Meereshöhe auf, erreichte also die Kalman-Linie knapp nicht und hatte auch nur drei Minuten lang den Genuss der Schwerelosigkeit. Im Vergleich dazu ist Elon Musk, zweitreichster Mann der Welt, mit seiner Firma «SpaceX», deutlich weiter. Er zielt nicht auf «Touristonauten» ab wie seine beiden Kollegen, sondern macht im Auftrag der NASA bereits regelmässig den Taxi-Dienst für Astronauten, die zur ISS-Station spediert werden müssen, immerhin 400 Kilometer über unserer Erdoberfläche.
Schöne neue Welt, glorreiche neue Zeiten! Nach der Abschaffung fast aller Bereiche des Service publique, nach der Privatisierung von Post, Bahn und Trinkwasser, schicken wir uns jetzt an, auch den Weltraum zu privatisieren. Das Strickmuster ist das folgende: Auf der Basis der von der öffentlichen Hand errichteten Infrastruktur gelingt es einem tatkräftigen Unternehmer, mit einer guten Geschäftsidee, mit Beharrlichkeit und Mut eine erfolgreiche Unternehmung aufzubauen (wie Bezos mit «Amazon» oder Steve Jobs mit «Apple», Bill Gates mit «Microsoft», Musk mit «Tesla», Zuckerberg mit «Facebook» etc.). Respekt vor solchen Leistungen! Aber dann schliesst sich der Kreis nicht. Dann wird dem Staat nicht zurückgegeben, was des Staates wäre. Dann gelingt diesen Individuen der Aufstieg in die «Plutonomie», die Klasse der Superreichen, weil sie die Steuerpflicht für ihre Unternehmungen so «optimieren», dass die Kosten sozialisiert und die Gewinne privatisiert bleiben. Jeff Bezos beispielsweise, der im Laufe der zurückliegenden Pandemie-Monate sein Privatvermögen von 100 auf 200 Milliarden Dollar verdoppelt hat, wurde mit einer Firma zum reichsten Mann der Welt, die fast noch nie schwarze Zahlen schrieb. Das ist eine Geschäftsleistung der besonderen Art, eine, die in einschlägigen Kreisen Nachahmer generiert: Den Staat um die Steuern zu prellen. Der Volkssport der obersten Zehntausend.
In einem Prospekt der «Citigroup» (achtgrösste Bank der Welt) finden sich als Werbebotschaft an die «Plutonomie» einige bemerkenswerte, weil bemerkenswert schamlose Aussagen – man ist ja quasi unter sich. Die Welt zerfalle, ist da zu lesen, «in zwei Blöcke – die Plutonomien, in denen das Wachstum von den Reichen angeheizt und verbraucht wird, und den Rest». Was motiviert die Plutonomien? «Disruptive Produktivitätsgewinne durch Technologieschübe, kreative Finanzinnovationen und kapitalismusfreundliche kooperative Regierungen.» Günstige Umstände für Wohlstandszuwachs seien «meist sehr komplexe Phänomene, die vor allem die Reichen und Gebildeten für sich nutzen» könnten.
Und dann kommt’s: «Es gibt wenige Reiche, die sich ein riesiges Stück vom Einkommens- und Konsumkuchen abschneiden. Und es gibt den Rest, die übergrosse Mehrheit, für die nur Krümel vom Kuchen abfallen.» Bedenklich sei jedoch, dass «die Konzentration von Reichtum und Konsum in den Händen einer kleinen Minderheit wahrscheinlich ihre Grenzen» habe. Deshalb ist es «wahrscheinlich, dass es irgendwann zum Widerstand gegen die Plutonomien kommen wird. Doch noch ist es nicht soweit.»
Gibt es eine geeignetere Illustration für diese Sätze als die Privatisierung des Weltraums, der wir – wie immer – tatenlos zusehen? «Disruptive Produktivitätsgewinne durch Technologieschübe… kapitalismus-freundliche kooperative Regierungen… übergrosse Mehrheit, für die nur die Krümel vom Kuchen abfallen…». Jeff Bezos dankte direkt nach seiner Landung an einer Pressekonferenz allen Mitarbeitern von Amazon und allen Kunden: «Ihr habt für das alles bezahlt!». Wo er recht hat, hat er recht… Dann legte er seine Stirn in Falten und teilte mit, der Blick aus dem All auf die Erde sei das Tiefgründigste, was er je gesehen habe. Die einzige Möglichkeit, die er sehe, seinen enormen Wohlstand einzusetzen, bestehe darin, seine «Amazon-Gewinne in Weltraumreisen zu verwandeln».
Aha. Bezos, der Superinnovative, ist ratlos, wenn es darum geht, seine Gewinne sinnvoll einzusetzen. Dem Manne könnte geholfen werden. Er müsste nur einmal die Zeitung lesen und vertieft nachdenken über das Tiefgründigste, das er je gesehen hat.
Y bruuch nüd z‘ergänze….Gruess Steffi