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Il barbiere di Basilea

Ob die Spieler der schweizerischen Fussball-Nationalmannschaft gestern Donnerstag Zeit hatten, sich das Spiel ihrer dänischen Berufskollegen gegen jene aus Belgien anzuschauen, entzieht sich unserer Kenntnis. Vielleicht hatten sie ja einen Termin für ihre Maniküre oder, wahrscheinlicher, sie empfingen grad den Vertreter ihrer bevorzugten Marke von Luxuskarossen. Einen Coiffeur-Besuch halten wir für weniger wahrscheinlich, denn der hatte ja bereits zu Wochenbeginn stattgefunden. Wohlverstanden: nicht etwa die Spieler besuchten den Coiffeur, sondern sie luden den Haarkünstler ihres Vertrauens nach Rom ein, nachdem sie zwei lange Wochen am Kaspischen Meer auf dessen Dienste hatten verzichten müssen, und im Vergleich zu Baku liegt die Ewige Stadt ja gleich um die Ecke. So blond, wie sich die Herren Xhaka und Akanji daraufhin im Spiel gegen Italien präsentierten, hatten wir sie eigentlich schon immer auf dem Radar. Der Figaro aus Basel (nehmen wir an, da die gemeinsamen Wurzeln der beiden genannten Spieler ja in Basel liegen) hat denn auch ganze Arbeit geleistet und die Fremd- mit der offenbaren Selbstwahrnehmung beider fussballerischen Hoffnungsträger der Nation perfekt zur Deckung gebracht.

Wie gesagt, ob Xhaka, Akanji und Konsorten daneben noch Gelegenheit fanden, sich mit den eigentlichen Inhalten ihres Pflichtenhefts zu beschäftigen, wissen wir nicht. Es hätte ihnen aber gut angestanden: Zu sehen, dass man die Stärke eines übermächtigen Gegners akzeptieren kann, ohne mit dem Spiel auch gleich noch die Würde zu verlieren. Jahrzehntelang war die «ehrenvolle Niederlage» ein Markenzeichen der Schweizer Nationalmannschaften mancher Generationen gewesen, von Erwin Ballabio über Geni Meier bis hin zu Karl Odermatt und Köbi Kuhn. Dann aber betraten solchermassen Hochbegabte die Szene, dass sie es als 17-Jährige tatsächlich zu Weltmeisterehren gebracht hatten. Tatsächlich haben sie es seither mit bemerkenswerter Konstanz geschafft, in den grossen Finalturnieren der UEFA und der FIFA dabei zu sein, um aber spätestens nach dem Achtelfinale die erst halb ausgepackten Koffer wieder richten zu müssen (denn immer wieder wird betont, sie würden ausreichend Klamotten bis zum Finaltag mitnehmen).

Das gesunde Selbstvertrauen, das sich Xhaka, Seferovic, Rodriguez als junge U-17-Weltmeister zu Recht verdient hatten, hat sich in eine ziemlich kranke Selbstüberschätzung gewandelt – so deutlich, dass wir gar befürchten müssen, sie würden den medialen Hype um ihre Rekordgehälter, Rekordtransfersummen und Rekord-PS-Zahlen ihres Fuhrparks tatsächlich ernst nehmen. Vielleicht kann man aber auch gar nichts anderes erwarten. Das Fatale ist jedoch, dass der gleiche Fehler auch der aktuellen Führung des Nationalteams unterläuft. Nationalmannschaftsdirektor Tami und Nationaltrainer Petkovic unternehmen rein gar nichts in Sachen Erdung und Bodenhaftung ihrer Truppe von 20- bis 30-jährigen Multimillionären. Petkovic schwafelte gar von Menschenrechten, als er im Fernsehinterview nach der Pleite im Italien-Spiel danach befragt wurde. Dass diese Problematik offenbar einfach ignoriert wird, ist die Ursache von permanenten Nebenschauplätzen, die das aktuelle Nationalteam Mal für Mal verunsichern. Wer will sich bei so vielen, dazu noch medial überhöhten Seitengefechten noch auf die Kernaufgabe konzentrieren können? Vom Doppeladler bis zum Tattoo-Stechen und den blondierten Haaren vermitteln ausgerechnet die Opinion-Leader der Truppe den Eindruck, nicht verstanden zu haben, wie sehr ihre Rolle als Personen des öffentlichen und medialen Lebens ihnen nebst Annehmlichkeiten auch Verantwortung auferlegt.

Wenigstens von ein paar Köpfen im Verband dürfte man aber eine höhere Bewusstseinsstufe erwarten können. Dort aber scheut man die Konflikte. Dass die Jahre verrinnen, während welcher die zur Verfügung stehende Generation von ausserordentlich begabten Spielern etwas Überdurchschnittliches leisten könnte, ist die Konsequenz des Auseinanderdriftens von Begabung und persönlicher Reife bei ihnen selbst, des unbegrenzten Hypes in den Medien und insbesondere der Konfliktschwäche an der Spitze des Verbandes. Ob in diesen Punkten Verbesserungen erzielt werden können, solange die Spieler noch auf dem Zenit ihres Leistungsvermögens stehen, ist hoch zweifelhaft. Sie werden weiterhin ihre Koffer für vier Wochen packen und nach vierzehn Tagen die Rückreise antreten. Figaro, Figaro, Figaro… Bei solcher Aufenthaltsdauer erübrigt es sich, den Coiffeur einfliegen zu lassen. Aber würden ihn Xhaka und Akanji zu Hause in Basel aufsuchen wie Krethi und Plethi, dann würde das ihre Chance, fussballerisch etwas zu reissen, signifikant erhöhen.

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