Die Leuchtspur der Banane
- Reinhard Straumann

- vor 2 Tagen
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Aktualisiert: vor 15 Stunden
Ach, was sind wir froh zur Weihnachtszeit, dass der Westen den Kampf um die Demokratie so siegreich gestalten konnte! Und nicht nur heute, sondern Mal für Mal: Vor 60 Jahren am Mekong, vor 20 am Hindukusch, jetzt im Donbass und in Gaza; über alle Landstriche, die Richtung Asien liegen, hat man uns Geografieunterricht erteilt und den Völkern zum Segen verholfen. Dafür sind wir jetzt auch fleissige Demokraten und wählen, was das Zeug hält: Das Wort und das Unwort des Jahres, das Tor des Jahres, den Tor des Jahres, es nimmt kein Ende.
Wie ist es eigentlich mit den Früchten? Sind die schon durch? Falls nein, hätte ich hier einen Vorschlag: die Banane. Je länger desto prägender bestimmt sie das Bild der westlichen Demokratie. „Die Leuchtspur der Banane“ wurde schon literarisch gewürdigt; daran will ich erinnern. Denn ich habe sie gesehen, die Leuchtspur, 1976 irgendwo bei Weimar oder Jena an einem feuchtkalten Herbst-und Hinterlandsabend. Vor der grau-in-grauen Bausubstanz eines maroden „Delikat“-Einkaufsladens hatte sich eine Schlange von Menschen gebildet und den Gutenachtgruss der Füchse und Hasen um zwei Stunden verschoben.
Notdürftig erhellt durch den Widerschein der Schaufensterbeleuchtung (Schaufenster… naja) standen sich die Menschen die Füsse in den Leib und warteten auf… Bananen, wovon gerade ein grösserer Posten geliefert worden sei. Geil, dachten wir dekadenten Westler, denn das entsprach allen Klischees, die wir uns in Sachen DDR zurecht gelegt hatten. Auf der Rückkehr von unserem unwirtlichen Spaziergang standen immer noch ein paar Leute da, weniger zahlreich, während einige mit Büscheln von Bananen die Szene verliessen und in die Dunkelheit eintauchten – unverkennbar mit einem Leuchten in den Augen ob der erstandenen Schlauchäpfel. Da war sie, die Leuchtspur der Banane.
20 Jahre wiederholte sich mein Besuch in Weimar und Jena. Das Thema Banane war durch, die Leuchtspur in den Augen der Menschen auch. Niemand wusste, was werden würde. Die DDR, ihre „Delikat“-Läden und sogar die Stasi hatten aufgehört zu existieren. Dafür las ein junger Lyriker (schreibe ich jetzt locker… dabei war ich sechs Jahre jünger als er) und Geschichtenerzähler namens Thomas Rosenlöcher in irgendeinem Kulturzentrum aus seinen Büchern (die immerhin bei Suhrkamp erschienen waren – Respekt).
Es waren grossartige Texte, voller Sprachwitz und Selbstironie, wie sie in totalitären Regimes leider und zum Glück gelingt. Einer mit dem Titel „Sächsisch als Verlierersprache“ liess uns bewusst werden, dass die Ansprache von Ould Schätterhänd – Karl May aus Radebeul bei Dresden – auf Wildwestdeutsch exakt wie Walter Ulbrichts Nuschelnasal getönt haben muss (onvergessen: „Niemand hat die Absischt, eene Mauer ze errischten!“), bevor er den Indianerhassern seine Schmätterhänd an die Laterne zimmerte. Mein Gott Walter, wie die Erinnerung possierlich wird im Alter!
Ich bin Thomas Rosenlöcher noch zweimal begegnet, einmal davon in der Schweiz (Wikipedia entnehme ich, dass er 2022, im Alter von 75 Jahren, gestorben ist). Seine zweite Kurzgeschichte, die mir noch nach Jahrzehnten präsent ist, hiess „Die Leuchtspur der Banane“. Sie handelt von den leuchtenden Augen Doemas‘ (pardon: Thomas‘), wenn die Päcklein der Westverwandten in der Vorweihnachtszeit eintrafen. Zuoberst immer: die Banane, der Abglanz des westlichen Neonleuchtens. Illusorisch wie dieses, aber das wussten die Ossies ja nicht.
Inzwischen sind ihnen die Illusionen abhanden gekommen. Zur Illustration sollte man sich die folgende Geschichte auf der Zunge zergehen lassen; sie betrifft schwergewichtig die neuen Bundesländer. Das Bündnis Sahra Wagenknecht hat bei den Neuwahlen im Februar 2025 die Fünfprozenthürde mit einem Wähleranteil von 4.981 Prozent minimal verpasst; es fehlten 9‘529 Stimmen. Natürlich bemüht sich das BSW seither um eine Neuauszählung, haben doch schon wenige Stichproben bereits mehr als 5000 zusätzliche Stimmen zutage gefördert. Bei rein statistischer Beweisführung kann als gesichert gelten, dass bei einer flächendeckenden Neuauszählung locker weitere Tausende dazukämen. Es gereicht dem BSW zur Ehre, dass in allen Bemühungen nie ein Betrugsverdacht geäussert wurde, sondern man sich stets auf unglückliche Umstände bezog (der Art, dass auf dem Wahlzettel, auf welchen das Kreuz zu setzen ist, das Bündnis SW direkt unterhalb des Mittelfalzes lag, während die Partei oberhalb des Falzes ebenfalls Bündnis… hiess). Nicht de iure, aber de facto ist unbestritten, dass Merz ein illegitimer Kanzler ist. Was lesen wir davon in den Medien? Richtig: gar nix.
Selbstverständlich reichte das BSW Klage auf Neuauszählung ein. Den Eilantrag vom März lehnte das Bundesverfassungsgericht – Überraschung! – ab (der Vorsitzende ist ein Parteifreund vom Fritz und das ganze Gericht trifft sich regelmässig mit der Regierung zum Abendessen; so viel zum Thema Gewaltenteilung). Also landete die Streitfrage beim Wahlprüfungsausschuss des Bundestags, der sich zehn Monate Zeit nahm (!), sich zu konstituieren. Der Ausschuss hat dem Plenum Ablehnung empfohlen. Ergo wird der Gesamtbundestag entscheiden müssen, irgendwann knapp vor Weihnachten, wenn alle nach Hause wollen. Sind wir gespannt auf den Ausgang dieser Abstimmung? Nicht wirklich.
Denn aus dem Gesamtbundestag müssten im Falle der Zustimmung etliche Abgeordnete ihren Abgang nehmen. Es handelt es sich - gemäss langjährigem Mittel - zu 15 bis 20 Prozent um Juristen, die alle einmal Römisches Recht und damit auch den Grundsatz: nemo iudex in causa sua gelernt haben, niemand darf in eigener Sache Richter sein. Interessiert das die hohen Vertreter des Rechts? Überflüssig zu fragen. Auf der letzten Stufe des Rechtswegs wird das BSW dann beim Bundesverfassungsgericht klagen dürfen. Aber wer ist dort schon wieder Präsident? Ach ja, siehe oben.
Etwas irritiert sitze ich nun vor meinem Text und frage mich: Wie habe ich mich nur thematisch so verirrt? Ich habe doch nur eine Erinnerung auffrischen und etwas über die Bundesrepublik schreiben wollen. Wie komm‘ ich bloss auf die Banane?


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