Das grosse Welttheater
- Reinhard Straumann

- 21. Aug.
- 4 Min. Lesezeit
So hätte es sein können: Ein Kompromiss, aber was für einer. Welch ein Erfolg für die EU im Ukraine-Krieg! Sofortiger Waffenstillstand. Abzug aller russischen Truppen hinter die Grenzen, die am 23. Februar 2022 gegolten hatten. Neutralitätserklärung der Ukraine und deren Verzicht auf eine NATO-Mitgliedschaft (einschliesslich des Verbots ausländischer Militärbasen auf ukrainischem Boden), sodass auch die russischen Sicherheitsbedürfnisse erfüllt wären (ja, die gibt es). Beistandsgarantie für die Ukraine durch die ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates. Die Krim bleibt bei Russland, klar, aber die Oblaste Donezk und Luhanzk erhalten ein Autonomiestatut und bleiben so ukrainisch.
Könnte man aus europäischer Sicht mehr erwarten?
Aber all dies ist zu schön, um wahr zu sein: Alles Aufgezählte sind Fake-news. Sie hätten die Realität sein können, wären die Spitzen der USA und der EU im April 2022 nicht so strunzdumm gewesen, den Friedensentwurf von Istanbul – der all die genannten Punkte enthielt – per Meldeläufer Boris Johnson (im Auftrag von Old John Biden) dem ukrainischen Präsidenten Selenski auszureden. Und ihn stattdessen – ebenso schwachsinnig – zu veranlassen, den europäischen Unterstützungsversprechen bis zum Endsieg Glauben zu schenken, whatever it takes.
Natürlich hat die EU viel getan – aber sie hätte es lieber gelassen. Es war für die Katz‘. Sie hat sich mit einer halben Billion Euro über alle Ohren verschuldet – Geld, das sie erst noch auftreiben muss. Sie hat, gemeinsam mit Selenski, der nicht ahnte, dass er und seine Nation nur als Bauernopfer dienen, eine Million toter oder kriegsversehrter Landsleute in Kauf genommen (und ebenso viele auf russischer Seite, aber die zählen ja nicht). Sie hat unzählige Sanktionen gegen Russland verhängt, die ihr selbst mehr geschadet haben als dem Kriegsgegner. Sie hat sich in ihrem Kern gespalten, indem nicht nur Ungarn und die Slowakei nicht mehr bereit sind, dem kriegstreiberischen Wahnsinn zu folgen, sondern auch westeuropäische Partner wie Spanien oder Griechenland. Sie hat ihre Arsenale gelehrt und steht jetzt mehr oder weniger blank da; insbesondere die Bundeswehr ist zur Lachnummer verkommen. Unablässig ist sie aber, in Zusammenarbeit mit den Mainstream-Medien aller westeuropäischen Mächte, daran, die nationalen Bevölkerungen auf Krieg zu trimmen, nicht wirklich in Übereinstimmung mit ihren militärischen Möglichkeiten. Kurz: Die Staatschefs der „Koalition der Willigen“ (die sich wider besseres Wissen als Gesamt-EU präsentieren) ist mit grobfassendem Werkzeug dabei, ihr eigenes Grab zu schaufeln. Und dort, sprechen wir es aus, gehört diese EU auch hin. Die Schweiz, deren Wirtschaftskreise und -verbände daran arbeiten, sich mit ihr noch kuscheliger ins Bett zu legen, tut das, weil sie die EU nach wie vor ausschliesslich als Wirtschaftsmacht sieht – und gleichzeitig übersieht, dass diese, das ehemalige Friedensprojekt Europas, durch ihre Kriegsgeilheit der eigenen Wirtschaft nur schadet. Denn im schweizerischen EU-Diskurs ignoriert man schlicht und ergreifend das gigantische politische Fehlinvestment, dessen Kosten unvermeidlich auch die Schweiz treffen würden. Und für all dies ist man zusätzlich bereit, einen wesentlichen Teil der schweizerischen Identität aufzugeben, nämlich die hausgemachte Gesetzgebung. Ist man wirklich noch im Besitz aller Geisteskräfte in Bern und Zürich?
Wir kommen zurück auf die oben präsentierte Liste aller Inhalte, die ein kluges Europa (eines, wie es seine grossen Staatsmänner Charles de Gaulle, Winston Churchill, Willy Brandt, Helmut Schmidt skizzierten) hätte erreichen können. Man vergleiche diese Liste mit jener, die Europa – aller Voraussicht nach – tatsächlich erhalten wird: Die Schulden (die, zusammen mit der fatalen Energieabkehr von Russland, locker die Billionengrenze überschreiten werden) haben wir erwähnt. Die nationalen Plünderungen der Rentenkassen gehören ins gleiche Kapitel, wie der gesamte EU-Wohlstandsverlust ebenso. Die ukrainischen Landkreise Donezk und Luhanzk werden vollumfänglich russisch. Weitere Oblaste werden an der natürlichen Grenze des Dnjepr geteilt, Selbstbestimmungsrecht der Völker hin oder her (dieses hat bei den US-amerikanischen Angriffskriegen die Europäer selten umgetrieben). Die Krim bleibt selbstverständlich russisch. Die Amerikaner gehen mit Putin einen Deal betreffend die ukrainischen Rohstoffe ein, und die EU zahlt für die beidseitigen Sicherheitsgarantien. Noch einmal, zum Mitschreiben: Die hinterhältige Schläue von Joe Biden und die schwachsinnige Gefolgschaft der EU, den Istanbuler Friedensplan zu verwerfen, wird sich zum Anfang des allmählichen Untergangs der EU (zumindest in ihrer gegenwärtigen Form) entwickeln. Soviel wage ich als Prognose hier zu deponieren.
Dieses gesamte Fiasko wird jetzt von den Alphatieren der EU als Erfolg verkauft – es wäre zum Lachen, wenn es nicht zum Heulen wäre. Die Merz, Macron, Starmer, Tusk, von der Leyen, Kallas, Rütte sowie die gesamten Kriegstreiber-Lobbies in den nationalen Parlamenten tun so, als hätten sie Stimmen im Gesangsverein der Grossen (Ursula von der Leyen wurde beim Washingtoner Treffen vom Dienstag dieser Woche gar vor die Tür gestellt – Trump wollte nur mit Staatschefs verhandeln).
Das grosse Welttheater ist angesagt. Die EU zahlt mit dem Wohlstand ihrer Bevölkerungen, ihrer Rentner. Sie spielt mit dem Leben ihrer Kinder. Und wozu das alles? Weil sie nicht zugeben können, dass die gesamte Strategie, ihr Schicksal in die Hände der USA zu legen, der gigantischste Schlag ins Wasser war, den die abendländische Geschichte gesehen hat. Ihre führenden Politiker haben sich so ins Elend geritten, dass sie jegliche Scham verloren haben: Keine Scham zu lügen und keine Scham, dem grössten Clown der US-Politik seit der Unabhängigkeitserklärung in einer Art zu liebedienern und zu schmeicheln, dass es nur noch entwürdigend ist. Soweit sind wir gekommen im Kontinent der Renaissance, der Aufklärung, des Sozialstaates und seit 80 Jahren des Friedens. Gute Nacht, Europa.


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