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Biedermann, der Brandstifter

Donald Trump, der Trendsetter der politischen Unkultur, macht Schule. Seit seiner Präsidentschaft beobachten wir, wie die Provokation als Stilmittel des politischen Diskurses schärfer wird. Rechtspopulistische Parteien, denen der demokratische Anstand nie wirklich viel bedeutete, loten die Grenze immer neu aus und schieben sie vor sich her, solange ihnen niemand entgegentritt. Wie vorwitzige Kinder, die noch und noch austesten, wie weit sie gehen dürfen, zünseln auch infantile Populisten vor sich hin – bis es brennt. Etwas ganz Originelles hat sich im aktuellen deutschen Wahlkampf die nationalkonservative Gruppierung „Der 3. Weg“ einfallen lassen. Sie haben Plakate in ihrer Parteifarbe grün drucken lassen, auf denen in fetten Lettern zu lesen ist „Hängt die Grünen!“. Darunter, kleingedruckt: „Macht unsere nationalrevolutionäre Bewegung durch Plakatwerbung in unseren Parteifarben in Stadt und Land bekannt.“

Der Trick ist simpel. Von weitem liest der Betrachter des Plakats die Schlagzeile „Hängt die Grünen!“ und versteht sehr wohl die politische Botschaft. Gegenüber den Gerichten argumentiert die Partei aber damit, dass aus dem Kleingedruckten klar hervorgehe, nicht etwa Menschen, die Anhänger der (wirklichen) „Grünen“, sollten gehängt werden, sondern die Plakate des (rein farblich) ebenfalls grünen „3. Weges“, der einer ganz anderen Ideologie folgt.

Spannend ist, wie die Strafverfolgungsbehörden mit diesem Tatbestand umgehen. In München hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Aufrufs zur Tötung aufgenommen und alle Plakate abhängen lassen. In Sachsen dagegen, wo eine rechtsextreme Szene einen viel deutlicheren Einfluss auf den politischen Diskurs hat, beschloss das Verwaltungsgericht in Chemnitz, dass die Plakate hängen bleiben dürfen. Die Stadt Zwickau ist gegen diesen Entscheid in Berufung gegangen.

So weit sind wir bei uns zum Glück noch nicht, aber auch bei uns radikalisiert sich im Zeichen von Corona der Stil des verlorenen Anstands. Bundesräte und -rätinnen, die noch vor Monaten wie Hinz und Kunz mit dem roten Berner Tram ins Bundeshaus zur Arbeit fuhren, sind neuerdings auf den Schutz von Spezialeinheiten der Polizei angewiesen. Eine unbewilligte Demonstration von Corona-Skeptikern am Donnerstagabend musste von der Polizei mit Wasserwerfern, Tränengas und Gummischrot aufgelöst werden, nachdem Flaschen, Holzscheite und ein ganzes Arsenal von Gegenständen gegen das Bundeshaus geworfen und Angriffe mit Knallpetarden inszeniert wurden. Der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause twitterte um zehn Uhr nachts: „Polizei verhindert möglichen Sturm aufs Bundeshaus.“

Nach dem Sturm aufs Capitol in Washington standen wir jetzt also in Bern vor dem Sturm aufs Bundeshaus. Dass die Demonstrierenden „Liberté, liberté“ skandierten, entspricht ihrem unaufgeklärten, diffusen Freiheitsverständnis und kann uns nicht weiter irritieren. Jedoch lässt ihr zweiter Schlachtruf aufhorchen. „Ueli, Ueli“, war über dem Berner Bundesplatz zu vernehmen. Hier ist die Interpretation einfach, zumal die „Freiheitstrychler“ in der Kundgebung prominent vertreten waren. So, wie die Menge von Trump zum Sturm aufs Capitol aufgeheizt wurde, fühlten sich einige Demonstranten in Bern von Ueli Maurer zu gewalttätigen Aktionen legitimiert, nachdem dieser über das letzte Wochenende in Wald (ZH) im Shirt der „Freiheitstrychler“ aufgetreten war und sich mit zwielichtigen Figuren hatte ablichten lassen – Bilder, die durch die schweizerische Presse gingen.

Vor 65 Jahren hat Max Frisch sein Stück „Biedermann und die Brandstifter“ geschrieben. In einer Zeit fortlaufender Brandstiftungen lässt der Haarwasserfabrikant Gottlieb Biedermann zu, dass sich zwei dubiose Figuren in seinen Dachstock einnisten und ungeniert mit Fässern voll Benzin und Zündschnüren hantieren. Denn Biedermann, der erfolgreiche Geschäftsmann, hat selbst Dreck am Stecken und deshalb nicht den Mut, dem sich entwickelnden Unheil entgegen zu treten. Diese Geschichte von der Allianz von Geschäftemacherei mit kriminellem Milieu hat man in den 50er-Jahren, in der unmittelbaren Nachkriegszeit, gelesen als eine Parabel auf den Aufstieg des Faschismus, der ohne die Begünstigung durch die Interessen des Grossbürgertums nie so zustande gekommen wäre.

Vom Historischen her ist diese Interpretation zweifellos zutreffend. Psychologisch gesehen lässt sich Frischs Stück aber auch anders deuten. Wie Goethe ein menschliches Dasein in zwei Figuren aufsplittet – Faust, den Erkenntnisstrebenden, und Mephisto, die Versuchung –, so trägt bei Frisch der Biedermann gleichzeitig den potentiellen Brandstifter immer in sich. Darüber sollte unser Finanzminister vielleicht einmal nachdenken, SVP-Parteibuch und populistisches Schielen nach rechts hin oder her. Ein Bundesrat im Shirt der „Freiheitstrychler“ ist unter den gegebenen Voraussetzungen ein Scharfmacher im Schafspelz. Ueli Maurer mag sich danach so treuherzig hinstellen, wie er will: Der Biedermann ist der Brandstifter. Ob im Trychlerhämp oder im feinen Zwirn des Bundesrates; es ist nur eine Frage der Tarnung. Max Frisch lässt es einen der beiden Brandstifter so ausdrücken: „Die beste und sicherste Tarnung ist die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand.“

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