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Ausblick am Ende eines besonderen Jahres

Am Ende dieses krisenhaften Jahres steht die festtagsfeindliche Erkenntnis, dass die Aussicht auf Besserung fern ist. Das Virus, das unser Leben verändert hat wie keine Erschütterung zuvor, wütet und mutiert und gibt Ausblick auf das, was uns im immer dichteren Zusammenleben auf diesem Planeten mit seinen immer fragileren Ökosystemen noch erwarten könnte. Trump, das zweite Phänomen, das uns über Monate in Fassungslosigkeit versetzt hat, ist immer noch da. Neuerdings liebäugelt er in seinem infantilen Starrsinn mit Putschplänen. Ob ihm die Gefolgschaft seiner Generäle gewiss wäre, hat er prophylaktisch abgeklärt. Zu seiner grössten Irritation ist sie es nicht. Deshalb legt er sich gegen alles quer, wogegen ein vernünftiger Mensch sich querlegen kann, egal ob gegen die eigene oder die andere Partei. Hauptsache: dagegen. Der Spuk wird am 20. Januar, dem Tag der Inauguration von Joe Biden, nicht vorbei sein. Trump wird gehen, aber der Trumpismus wird bleiben.

Dieser ist die politische Innovation der auslaufenden Präsidentschaft: Die Geisteshaltung einer dünnen Schicht von Superreichen, dass die Welt ein Selbstbedienungsladen für ihresgleichen sei. Das ist zwar nicht grundsätzlich neu, aber unter Trump ist diese Einstellung salonfähig geworden. Nie zuvor wurde sie in diesem Stil von einer politischen Exekutive – und zwar von der stärksten der Welt – zur Chefsache gemacht. Trump hat vorgeführt, dass sich ein Staatsoberhaupt um Verfassung und Gemeinwohl nicht zu kümmern braucht. Die reihenweise gewährten Begnadigungen von zwielichtigen Gestalten aus seinem nächsten Umfeld geben bis zum letzten Tag Exempel davon.

Beide Schreckensphänomene dieses Jahres, die Pandemie und der Trumpismus, haben eine innere Verbindung, und nicht nur deshalb, weil die politische Imbezilität Trumps die Ausbreitung des Virus in den USA begünstigt hat. Die zweite Überschneidung zwischen beiden Erscheinungen ist von noch grösserer Bedeutung. Sie liegt im Umstand, dass sowohl Corona wie Trump die Spaltung beschleunigen, die unsere abendländische Gesellschaft durchzieht. Zwar wird allerorten vor den Gefahren gewarnt, die mit einer sich öffnenden sozialen Schere verbunden sind, aber niemand tut etwas. Gemäss einem Bericht von PricewaterhouseCoopers und der UBS haben die – aktuell gezählten – 2189 Milliardäre dieser Welt ihr Vermögen seit April dieses Jahres um 28% vermehrt. Es beträgt jetzt mehr als 10 Billionen US-Dollar. Ein Zehntel davon liegt auf den Konten der zehn reichsten Menschen auf diesem Planeten. Jeff Bezos, Amazon-Gründer und unbestrittene Nummer 1, hat sein Vermögen um 70 Milliarden auf 185 Milliarden Dollar gesteigert (alle Zahlen aus der NZZ am Sonntag vom 20.12.2020).

In der Schweiz, wo die Verteilungskurve etwas weniger steil ausfällt als weltweit, besitzt das reichste 1 Prozent der Bevölkerung 40 Prozent des Vermögens, nämlich 800 Milliarden Franken. Christoph Blocher, dessen Familie durch die Krise schweizweit am stärksten zulegen konnte (Handelszeitung von 26.11.2020), reicht das offensichtlich nicht, weshalb er mit dem Bundesrat seine nachträgliche aus-zuzahlende Pension aushandelte. Wofür er sie braucht, bleibt sein Geheimnis. Die ihm zugesprochenen 1,2 Millionen vermehren den Vermögenszuwachs (des laufenden Jahres) seiner Familie von 4000 auf 4001,2 Millionen. Zwei Drittel aller Steuerzahler dagegen besitzen weniger als 100'000 Franken und sind damit den Folgen jeglicher Art von Krisen ausgeliefert.

In der Bundesrepublik Deutschland, wo es eine politische Opposition gibt, die diesen Namen verdient, fordert die Linke eine Sondersteuer für die grossen Krisenprofiteure zur Abfederung des volks-wirtschaftlichen Schadens, den die Pandemie hinterlassen wird. Hierzulande ist so etwas undenkbar. Geld wäre im reichsten Land der Welt zwar im Überfluss vorhanden, aber niemand getraut sich, die ergiebigen Quellen anzuzapfen. Mit der Kässelimentalität unseres Finanzministers ist nichts zu machen. Er zieht es vor zu jammern und angesichts der vielen Toten von «Güterabwägung» zwischen Opferzahlen und Belastung der Wirtschaft zu sprechen. Der Applaus der bürgerlichen Parteien und der von ihnen dominierten Parlamente ist ihm gewiss. Die superreichen Krisenprofiteure in die Pflicht zu nehmen, wird mit der immer gleichen Argumentation tabuisiert: Sie würden sonst sofort die Schweiz verlassen und auf irgendwelchen Offshore-Inseln Zuflucht suchen. Dabei handelt es sich bei den Betreffenden um Menschen, die – krisensicher seit Jahrzehnten – private Steuerdeals mit den Behörden ausgehandelt haben. Wem käme es in den Sinn, diese Komfortzone zu verlassen?

Die Krise beschleunigt die Spaltung der Gesellschaft in einer Art und Weise, dass wir die Folgen nicht einmal erahnen können, und zwar ökonomisch wie politisch. Wir steuern auf eine europäische Variante des Trumpismus zu. Noch immer wird der Hedonismus der Superbegünstigten zum Wirtschaftsmotor schöngeredet: Wenn es den Reichsten am besten geht, dann würden alle profitieren, weil dann am meisten investiert und die grösstmögliche Zahl an Arbeitsplätzen geschaffen würde. Was wir tatsächlich erlebt haben, ist das Gegenteil: Im Sinne der Shareholder hat man ungezählte Betriebe nicht saniert, sondern «umstrukturiert», das heisst die Produktion nach China ausgelagert und Tausende von Stellen gestrichen. Tatsächlich sind dadurch global das Durchschnittseinkommen und das Weltvermögen gestiegen, aber die Problematik der Verteilung wird krasser und krasser. Gegen alle Warnungen steuern wir geradewegs auf das zu, wovor sogar bürgerliche Stimmen warnen: auf eine beschleunigte Destabilisierung der Gesellschaft.

Damit sich daran nichts ändert, sind Kräfte am Werk, in der Schweiz wie weltweit, die auch der neue amerikanische Präsident nicht wird bändigen können. Nur eine Gegenkraft gibt es, ihnen die Stirn zu bieten: die Masse der Menschen. Vielleicht wäre es auch bei uns eine gute Gelegenheit, an Sylvester darüber nachzudenken, wie lange wir uns dem Diktat der Profiteure noch unterordnen wollen.

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