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Allen Menschen recht getan...

Es ist ein eigenartiges Bild, das die Schweiz derzeit abgibt in Sachen Bewältigung der Corona-Krise. War bis vor wenigen Wochen – solange die „ausserordentliche Lage“ Bestand hatte – eine klare Leadership des Gesundheitsministers Alain Berset erkennbar, so dominiert Chaos, seit sich der Bundesrat aus seiner zentralen Verantwortung herausgenommen und die „besondere Lage“ ausgerufen hat. Umso mehr, als die Kantone (und das Parlament) mit Macht darauf gedrängt hatten, die Kompetenzkonzentration bei der Landesregierung rückgängig zu machen, wären sie jetzt in der Pflicht, das Heft in die Hand zu nehmen, die nötigen Entscheide zu treffen und zu kommunizieren. Und der Bund wäre gehalten, dort, wo er weiterhin das Sagen hat – nämlich beispielsweise in allen Belangen des Grenzschutzes – ebenfalls für klare Richt-linien, Anordnungen und Durchsetzungs- und Kontrollkonzepte zu sorgen.

Doch nichts davon geschieht. Mutlosigkeit beherrscht die Szene. Meinungen driften auseinander und Widersprüche öffnen sich, wo Kohärenz gefordert wäre. Bundesrat und Finanzminister Ueli Maurer foutierte sich unlängst in einem grossen Interview auf Radio SRF um die nach langer Hand, mit unge-zählten Bundesmillionen in Funktion gebrachte Covid-App und entblödete sich gar zu sagen, er sei gar nicht in der Lage, sie herunterzuladen. Hat ihm danach jemand gesagt, dass er damit das Kollegialitäts-prinzip der Landesregierung verletzte? Kein Wunder, dass Bürgerinnen und Bürger, die auf Facebook alle Intimitäten offenlegen, sich mit Haut und Haar dagegen sträuben, die App in Anspruch zu nehmen. Statt der erhofften 60 Prozent der Bevölkerung hat gerade mal eine Million Menschen sie heruntergeladen, also etwa zwölf Prozent.

Niemand, weder beim Bund noch bei den Kantonen, weiss, wie mit den systemimmanenten Wider-sprüchen umzugehen ist, die durch die Notwendigkeit von Kontrollmassnahmen bei gleichzeitiger Wahrung des Datenschutzes unvermeidbar sind. Die mit Spannung erwartete Medienkonferenz mit Fachleuten des Bundes vom vergangenen Donnerstag (9.7.), von der man sich Klärungen erhoffte, verkam zu einer Präsentation nicht gemachter Hausaufgaben. Auf Fragen, die so gewiss zu erwarten waren wie das Amen in der Kirche, war man nicht vorbereitet. Die Fragen wurden von den Fachleuten eingepackt und mitgenommen in die Beratungen der Stäbe.

Der Bund verordnete eine Quarantäne-Pflicht für Einreisende aus einer Reihe von 29 Staaten (USA, Brasilien, Serbien, Kosovo etc.), aber er hat keinen Plan, wie er das Gebot umsetzen will. Stefan Kuster, der Corona-Mann beim BAG, schlägt spontan vor, Autos mit Nummernschildern dieser Staaten bei der Einreise in die Schweiz stichprobenmässig zu kontrollieren – wie wenn die in der Schweiz lebenden Kosovaren oder Serben, die jetzt aus dem Heimaturlaub zurückkommen, kosovarische oder serbische Nummernschilder hätten. Einfach wäre es bei den per Flugzeug Einreisenden, weil dort Passagierlisten vorliegen, auf die die Behörden zugreifen könnten. Aber dies bringe nichts, sagt Kuster, aus irgendwelchen Gründen – um sogleich von der bernischen Kantonsärztin korrigiert zu werden: doch, doch, das wäre sehr hilfreich. Die bei den Kantonen angesiedelte Verfügungsgewalt über die Nachtclubs führt zu einem Wild-wuchs von hilflosen Anordnungen. Aargau, beide Basel und Solothurn haben sich löblicherweise zusam-mengetan und ihre Beschlüsse gemeinsam getroffen. Aber schon bei der Befristung der Massnahmen war die Gemeinsamkeit am Ende: hier gelten sie bis Mitte August, dort bis Ende August, bis Ende Jahr, bis irgendwann.

Dilettantismus, soweit man schaut. Man will es wieder einmal allen recht machen und windet sich immer tiefer in Widersprüche hinein. Die Kleinräumigkeit des schweizerischen Föderalismus‘ hat schon immer Fragen aufgeworfen. Wo Angst dazu kommt, sich zu exponieren, mutiert die Kleinräumigkeit zur Klein-mütigkeit. Krisen lassen sich so nicht bewältigen.

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