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Abrissbirne der Demokratie

Als „Abrissbirne der Demokratie“ hat Noam Chomsky – der 92jährige, grosse amerikanische Linksintellektuelle – Donald Trump schon vor Jahren bezeichnet. Es ist bis heute die präziseste Metapher für dessen politisches Wirken. Wäre noch ein Beweis nötig gewesen, so würde er jetzt vorliegen. Die TV-Debatte zwischen Trump und seinem Herausforderer Biden vom Dienstag dieser Woche entlarvte schonungsloser als je, wohin der amerikanische Präsident die amerikanische Demokratie führt: in den Abgrund. Das Wesentliche, was nach diesen neunzig TV-Minuten bleibt, sind nicht die Beleidigungen, die sich beide Konkurrenten an den Kopf warfen. Es ist auch nicht die Schamlosigkeit, mit welcher der amtierende Präsident die amerikanische Öffentlichkeit irreführt (die „Washington Post“ führt Buch und hat ihm seit Amtsantritt mehr als 20‘000 Lügen nachgewiesen). Und es ist auch nichts Neues, dass er sich smart vorkommt, wenn er den Staat, dem er vorsteht, um Steuern prellt. Das Wesentliche aus der Debatte ist die Erkenntnis, dass ein verbaler Gewalttäter, der sich für den Friedensnobelpreis nominieren lässt, darauf zielt, den rationalen Diskurs an sich zu zerstören, ohne den es keine politische Erkenntnis und keinen politischen Fortschritt gibt.

Seitdem Immanuel Kant 1784 in seiner „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ einen der bemerkenswertesten Sätze der abendländischen Geistesgeschichte geprägt hat („Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“), wiegt sich das Abendland im wohltuenden Glauben, der Mensch sei nach wie vor im Begriff, die von Kant postulierte Mündigkeit zu erwerben, Schritt für Schritt gegen alle Widerstände. Tatsächlich sind die Fortschritte auf diesem Weg beeindruckend, von der Französischen Revolution über die Verfassungen des 19. Jahrhunderts bis hin zur Gründung der UNO, von der Rechtsgleichheit über die Menschenrechtserklärungen bis zum allgemeinen Wahlrecht. Aber das Erreichte hat uns den Blick darauf verstellt, dass wir den Scheitelpunkt der Entwicklung längst überschritten haben. Seit ca. 50 Jahren wird sie von antiaufklärerischen Kräften unterlaufen, deren Menschenbild nicht in der politischen Mündigkeit liegt, sondern im unbeschränkten Konsum. Seither hat sich die gesellschaftliche Macht von den staatstragenden Gewalten hin zu den Grosskonzernen und den IT-Giganten verschoben. Seither ist eine grosse gesellschaftliche Umverteilung im Gang, seither dient die Wirtschaft den Shareholdern statt den Menschen, seither öffnet sich die Wohlstandsschere, serbelt der Mittelstand, schiessen die sozialen Fragen ins Kraut.

Und seither ist die politische Lüge als gesellschaftliches Verschleierungsinstrument salonfähig geworden. Niemand bedient sich ihrer systematischer als Donald Trump, auch wenn sein System sehr simpel ist: Es besteht darin, die Öffentlichkeit so mit Lügen zu überfluten, dass die einzelne Falschaussage gar nicht mehr wahrgenommen wird im unablässigen Strom. Wir versuchen, uns mit dem „Faktencheck“ (ein Begriff, der erst seit Trump im Duden steht) zu helfen. Aber dieser ist ein nutzloses Unterfangen, weil er einem rationalen Prinzip folgt, nämlich der Annahme, dass Menschen durch die Kraft der Argumente überzeugt werden könnten. Das war die Hoffnung Kants. Heute aber hat die Undurchdringlichkeit der Welt die Fakten ausgehebelt. Filterblasen isolieren die Menschen, machen sie unerreichbar für Argumente. Die Kraft manipulierter Bilder hat die Mündigkeit obsolet gemacht und viele Menschen in eine Lämmerherde verwandelt, die einem Leithammel folgen, bis über den Abgrund.

Die Zerstörung des rationalen Diskurses ist eine Methode auf dem Weg zur Zerstörung der Demokratie. Keiner beherrscht sie virtuoser als Trump. Nicht durch raffinierte Dialektik, sondern als verbale Gewalt, als rhetorischer Bulldozer, der alles niederwalzt durch Nichtzuhören, Dreinschwatzen, Beleidigen, Verletzen. Das Ziel ist immer dasselbe: ein Gespräch gar nicht erst zuzulassen, damit die autonome Meinungsbildung verunmöglicht wird. Trump ist der Gegenentwurf zur Aufklärung.

Die Schlussfrage der TV-Debatte betraf einen Punkt, der zum ersten Mal in einem amerikanischen Wahlkampf aufgeworfen wurde. Aber die totalitären Züge von Trumps Charakter machten die Frage nötig, ob beide Bewerber ein negatives Wahlergebnis akzeptieren würden. Biden bejahte ohne Wenn und Aber. Trump verschleierte, wie immer. Falls das Verfahren fair wäre… aber er schickte gleich nach, dass dies sowieso nicht der Fall sein würde; die Briefwahl würde dem Missbrauch Tür und Tor öffnen. Man habe bereits Tausende von Wahlcouverts in Abfalleimern gefunden, die alle mit „Trump“ ausgefüllt gewesen seien. Deshalb könne er ein negatives Ergebnis nicht akzeptieren.

Kein Zweifel: Trump hat hiermit seinen Plan veröffentlicht, wie er sich verhalten würde, sollte er verlieren. Er wird gegen die Briefwahl rekurrieren, durch alle Instanzen bis vor den Supreme Court, welcher (durch seine eigenen Ernennungen) von seiner Partei mit 6:3 Stimmen beherrscht wird. Es sind düstere Aussichten, denen die USA entgegen gehen. Auf die Frage, wie er sich zur Gewalt im öffentlichen Raum stelle, fraternisierte er mit den Proud Boys, einer rechtsextremen Schlägerbande irgendwo zwischen Neonazis und den Dalton-Brothers. Ihnen empfahl er vorerst den Stand-by-Modus.

Die nächsten Schläge der Abrissbirne sind in Vorbereitung. Sie könnten ein Gebäude zum Einsturz bringen, das Gebäude der Demokratie.

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