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Totale Sinnentleerung

Selten hat ein Gewaltverbrechen mehr schockiert als der Mord an zwei Polizeibeamten zu Beginn dieser Woche, irgendwo in the middle of no-where im pfälzischen Bergland. Der Grund für unsere Fassungslosigkeit hat sich aber, ein paar Tage danach, von den Opfern zu den Tätern verschoben. Mit ihnen tritt uns eine Indifferenz im Unterscheidungsvermögen von Gut und Böse entgegen, die uns ratlos macht.

Es handelt sich um zwei junge Männer von 32 und 38 Jahren, die bisher nicht ganz unbescholten, aber immerhin ohne Eintrag ins Strafregister durchs Leben gekommen sind. Keine Desperados, auch wenn der ältere von beiden ein Insolvenzverfahren am Hals hat. Was ihn wirtschaftlich noch knapp über Wasser hielt, war der Handel mit Wildfleisch, für welchen er selbst den Nachschub besorgte. Ohne Lizenz, denn die war ihm entzogen worden; er wilderte. Beide wurden sie bei ihrem illegalen Treiben in einer kalt-nebligen Nacht morgens um halb Fünf von den beiden Polizeibeamten in flagranti ertappt. Es war kein Verbrechen, das, hätten sie sich den Beamten ergeben, ihren weiteren Lebensverlauf entscheidend beeinflusst hätte.

Aber sie wollten sich nicht ergeben, sie schossen. So, wie man es aus amerikanischen Filmen kennt: mit ihren Jagdgewehren aus der Hüfte. Die 24jährige Polizistin (mit noch nicht ganz abgeschlossener Ausbildung) hatte keine Chance; sie wurde gleich von der ersten Kugel in den Kopf getroffen. Der zweite Beamte, 29jährig, konnte seine Waffe noch zücken und mehrfach in die Richtung seiner Hinrichter feuern, jedoch ohne zu treffen. Er verblutete am Ort des Geschehens. Die beiden Täter flüchteten, offenbar in Panik, denn sonst hätten sie nicht die Ausweispapiere zurückgelassen, die die Beamtin zur Kontrolle eingefordert hatte. Die Eruierung der Täterschaft war für die Ermittler in der Folge eine sehr einfache Aufgabe.

Unter dem Titel «In Cold Blood» hat Truman Capote 1967 die Ermordung einer Familie in Kansas aufgearbeitet. Zwei Landstreicher waren 1959 in ein Wohnhaus eingebrochen, weil sie sich erhofften, dort Ersparnisse von einigen tausend Dollar einstreichen zu können. Aus Enttäuschung darüber, dass sie nur 40 Dollar fanden, exekutierten sie die vierköpfige Familie. In cold blood. Capotes minutiöse Darstellung erschütterte das Publikum ebenso wie deren Verfilmungen von 1967 und 1996. Ein dritter Film – unter dem Titel «Capote» – fokussierte den Autor und zeigte, was seine Recherche mit ihm selbst angerichtet hatte. Capote, der sich mit heiteren Erzählungen wie «Breakfast at Tiffany’s» Ruhm erworben hatte, war nach «In Cold Blood» zu keiner weiteren literarischen Arbeit mehr fähig. Ausgelaugt und innerlich zerstört gab er sich allen möglichen Ausschweifungen hin, tourte mit den Rolling Stones, stürzte von einem Drogenexzess in den nächsten und starb vereinsamt 1984 mit 60 Jahren.

Was war es, das Capote in die totale Identitätskrise stürzen liess? Wir sind auf Vermutungen angewiesen, angeregt durch den Parallelfall der Ermordung der beiden Polizeibeamten. Eine Täterschaft von halbgescheiterten Existenzen charakterisiert die Fälle hier wie dort, ebenso die schockierende Diskrepanz von der Geringfügigkeit des Motivs und der abgrundtiefen Skrupellosigkeit der Ausführung.

1961 konstatierte Hannah Arendt als Zeugin des Eichmann-Prozesses in Jerusalem «Die Banalität des Bösen». Sie sprach der Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nazis jede metaphysische Dimension ab, nahm aber jeden einzelnen Mittäter in die Pflicht. Eichmanns Verteidigungsstrategie, er sei nur ein Rädchen im Getriebe der nationalsozialistischen Tötungsmaschinerie gewesen, liess sie nicht gelten. Jeder Beteiligte ist ein Individuum, der für seine Handlungen verantwortlich ist.

Der Schock, den das Verbrechen in Kusel, Rheinland-Pfalz, ausgelöst hat, besteht darin, dass die Banalität des Bösen keine Nazis braucht, sondern einen Alltag hat, der durch viele kulturelle Umständen unseres Zeitalters geradezu begünstigt wird. Der Kult des Killens ist zu einer virtuellen Parallelwelt unserer Heranwachsenden geworden. Ob das immer folgenlos bleibt, wie uns die libertären Laissez-faire-Apologeten glauben lassen wollen, bleibe dahin gestellt. Die Banalisierung des Todes in der Populärkultur (man denke an die Leichenschau im «Tatort», jeden Sonntagabend im Familienprogramm) muss von Jugendlichen erst einmal verarbeitet werden, ganz abgesehen von allem, was sie sich auf ihre Handys herunterladen. Nicht alle schaffen das. Der vielerorts kultivierte Hass auf den Staat und auf dessen Vertreter verzerrt manchen Menschen, vor allem solchen aus wenig begünstigten Verhältnissen, die Wahrnehmung. Dass in einschlägigen Kreisen auf den sozialen Plattformen die Bluttat gefeiert wird, spricht Bände. Nur ein toter Bulle ist ein guter Bulle… Hineingeboren in eine Gott-ist-tot-Welt ist für solche Menschen das Ende der Transzendenz, das unsere Zeit charakterisiert, gleichbedeutend mit der totalen Sinnentleerung.

Wege aus ihr heraus aufzuzeigen, wäre die Aufgabe der Erziehung – die private im Elternhaus, die öffentliche in der Bildung und die gesellschaftliche, die wieder plausibel machen müsste, dass grundlegende Normen und Werte nicht verhandelbar sind. Das aber wird nur möglich sein, wenn wir jungen Menschen auch gesellschaftliche Perspektiven geben können, wenn wir ihnen Sinn vermitteln. So wie jetzt, geht das nicht.

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