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AutorenbildReinhard Straumann

Schöne Bescherung

In den aufgeklärten Kreisen unserer materiell übersättigten Gesellschaft ist zu Weihnachten eine neue Bescheidenheit eingekehrt. Man legt sich im Familienkreis (ausser für die Kinder…) kaum mehr Geschenke unter den Baum – wir haben ja schon alles. Wir sind es müde geworden, mit den Präsenten in der Woche nach Weihnachten zum Umtausch in die Läden zu rennen, und am Heiligen Abend irgendwelche Couverts auszutauschen, macht erst recht keinen Sinn. Wenn schon, dann soll der innere Wert dominieren, nicht der Gegenwert in Cash. Deshalb wird da und dort ein Maximalbetrag vereinbart: Zwanzig Franken maximal... Nicht beschenkt werden, ist gefragt, sondern aktives Schenken mit Phantasie und Empathie.

Solch hehre Motive sind nicht jedermann vermittelbar. Eine Kategorie von Personen macht nicht mit, die offenbar den Mund nicht voll kriegen kann. Die Rede ist von juristischen Personen, nämlich von den Konzernen neoliberalen Zuschnitts. Unter Aufbietung all ihrer Göttis und Gotten (das heisst: der von ihren Lobbyisten gesteuerten Ständeräte und Nationalrätinnen bürgerlicher Herkunft) haben sie… nicht beim Christkind, sondern beim Santichlaus (in Gestalt unseres Finanzministers Ueli Maurer) ihren Wunschzettel abgegeben. Er hat das Päckli pünktlich mit seinem Rentierschlitten geliefert, aber es darf erst am 13. Februar geöffnet werden. So viel können wir verraten: Auf dem Wunschzettel steht die Abschaffung der Stempelsteuer für Unternehmungen, ein Klacks von 250 Millionen, gedacht als weiterer Schritt auf dem Weg zu einer Neuordnung der Bundesfinanzen. Diese sollen gemäss Strategie des Finanzdepartementes mittelfristig nur durch die Besteuerung von Löhnen, Renten und Konsum gedeckt werden. Die schöne Bescherung haben dann wir alle, weil wir ungeschickt genug sind, weiterhin mit Lohnarbeit Geld zu verdienen… Wer über das nötige Kleingeld verfügt, weiss, dass es deutlich weniger schweisstreibend ist, Kapital für sich arbeiten zu lassen. Es hat zweitens den Vorteil, dass die so erzielten Gewinne kaum versteuert werden müssen.

Aber psst…! Nicht Weitersagen! Nicht dass die Mehrheit derjenigen, die am 13. Februar abstimmen werden, es noch durchschaut! Sonst könnte sich das schöne Päckli am Ende als inhaltsleer erweisen. Um solches Unheil zu verhindern, gehen die Konzerne in ihrer Geschenkoffensive voran und spendieren noch mehr – damit später der Return on Investment umso reichlicher ausfallen soll.

Ein Präsent dieser Art erhielt zu Weihnachten die Universität Luzern, oder genauer: deren wirtschaftswissenschaftliche Fakultät. Am 15. Dezember wurde das von privater Seite, das heisst von lauter Milliardären finanzierte «Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik an der Uni Luzern» (IWP) eröffnet. Träger ist – Überraschung! – eine steuerbefreite Stiftung, hinter der Gönner stehen wie Alfred Schindler (Vermögen gemäss «Bilanz»: 16 Milliarden Franken) oder Michael Piper (4,75 Milliarden) und andere, die einen Betrieb von 16 Vollzeitstellen grosszügig abdecken werden. Dennoch wurden der Institutsleiter, Professor Christoph Schaltegger, Dekan der Fakultät, und sein Geschäftsführer René Scheu (vormals Chef des NZZ-Feuilletons) an der Eröffnungspressekonferenz nicht müde, die «Unabhängigkeit» ihres Instituts zu betonen.

Man mag dieser Aussage sogar Glauben schenken. Die Forschungsleiter und das übrige Personal sind so handverlesen, dass sich die Forschungen eigentlich erübrigen. Die Ergebnisse stehen zum Voraus fest: Deregulierung, Staatsabbau, Schuldenabbau, Abbau der Sozialleistungen, Steuersenkungen für die Reichsten, Erhöhung der Mehrwertsteuer… die ganze neoliberale Breitseite. Erstes Thema: Wie kann man der Gesellschaft unterjubeln, dass die bedürftigen Teile der Bevölkerung die Corona-Schulden bezahlen sollen? Es wäre ein No-Go, würden das die Reichsten der Gesellschaft und die gierigsten Konzerne explizit verlangen. Fordert aber ein «unabhängiges» Institut einer Universität dasselbe, dann gilt es als reine Lehre, auf die sich die Politik abstützen kann.

Das IWP ist nicht das erste seiner Art in der Schweiz. An der Uni Fribourg gibt es bereits das CREMA, das «Center for Research in Economics, Management and the Arts», das von neoliberalen Ökonomen wie Bruno Frey und Reiner Eichenberger betrieben wird. Es ist verbandelt mit dem IWP und weiteren neoliberalen Think-Tanks auf der ganzen Welt. Das Kapital bringt seine ideologische Front in Stellung.

Der permanente Betrug am Mittelstand dauert mittlerweile seit 50 Jahren an. Er begann 1973 mit dem Putsch in Chile, als der demokratisch gewählte Präsident Allende vom CIA und von einer Militärjunta unter General Pinochet wegrasiert wurde. Das ökonomische Konzept kam aus der «School of Economics» der Universität von Chicago, von Milton Friedman. Er war sich bewusst, dass ein demokratisches Parlament und eine demokratische Regierung zu seiner radikalen Theorie der Entstaatlichung nie Ja sagen könnte. Er brauchte jedoch eine tabula rasa, ein freies Spielfeld, um einen neoliberalen Reset zu ermöglichen. Der Erfolg, den die amerikanischen und britischen Konzerne daraufhin von der chilenischen Wirtschaft abschöpfen konnten, war so umfassend, dass das Modell umgehend in die USA und nach Grossbritannien exportiert wurde. Ronald Reagan und Margret Thatcher zerschlugen die bestehenden Gewerkschaften und leiteten die Privatisierung ein. Seither öffnet sich die Schere zwischen arm und reich.

Dieser Tage ist in Chile das neoliberale Modell Pinochet/Friedman mit der Wahl des sozialdemokratischen Kandidaten Gabriel Boric endgültig beerdigt worden. Vielleicht sollten wir Schweizer uns beim chilenischen Mittelstand (oder dem, was davon übrig geblieben ist…) erkundigen, was von der Bescherung zu halten ist, die uns gerade eingebrockt wird.

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