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AutorenbildReinhard Straumann

Das Schweigen über die Toten

In der Corona-Krise bedeuten hohe Fallzahlen unvermeidlich auch hohe Zahlen von schweren Verläufen, von Hospitalisierungen, von künstlichen Beatmungen, von Todesfällen. Die schweizerische Politik kümmert das nicht. Der Bundesrat mahnt ein bisschen, überlässt aber den Kantonen das Handeln, und die Kantone knicken ein vor den KMUs und dem Tourismusgewerbe. Über die Toten redet niemand.

Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder, definitiv nicht bekannt als ein Feind der Wirtschaft, sagte am 4.12.2020 zur deutschen Corona-Politik, es sei «eine ethische Kapitulation, dass nicht mehr über die vielen Toten gesprochen wird.» Was würde er wohl zur Schweiz sagen? Zum reichsten Land der Welt mit den meisten Toten, das offenbar nicht in der Lage ist, sich einen vernünftigen Lockdown zu finanzieren, der die Fallzahlen nachhaltig senken würde?

Die Kurzsichtigkeit unserer Politik ist zum Verzweifeln. Sie ist dumm, weil maximal bis zur nächsten Skisaison gedacht wird, sie ist mut- und phantasielos, weil alternative Finanzierungsmodelle so tabuisiert werden wie die Todeszahlen, und sie ist abgrundtief unethisch. Die medizinische Triage, vor welcher sich die Spitäler fürchten, findet bei uns in den Gewerbeverbänden und unter den Regierungsräten statt. Und zwar guten Gewissens, denn es sterben ja zum «grössten Teil die über 80-jährigen» (Ueli Maurer am 21.11.2020). Welche langfristigen Folgen damit ausgelöst werden, wird nicht in Erwägung gezogen: Dass wir daran sind, den nachrückenden Generationen ein Beispiel zu geben, wie werthaltiges Leben gegen wertloses Leben ausgespielt werden kann. Dass es Menschen gibt, auf die man verzichten darf. Dass es nicht unethisch ist, wie die Redewendung sagt, seine Grossmutter zu verkaufen. Das ist heute unser Alltag. Man mag gar nicht daran denken, welchen Kapiteln der Geschichte wir uns dadurch annähern.

Man übernehme die volle Verantwortung für die Folgen, wenn man der Skisaison jetzt grünes Licht gebe, sagte Martin Candinas, Bündner Nationalrat aus der Partei, die eben das C aus ihrem Namen gestrichen hat. Wie wenn es eine Verantwortung gäbe ohne Haftung. Mit solcherart Phrasendrescherei wollen viele unserer Politiker derzeit Corona besiegen. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre.

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