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AutorenbildReinhard Straumann

1 Kälte der Macht, 2 Geschichtsbucheinträge, 1 Dummheit

Chinesische Potentaten lieben die Quantifizierung: Zahlenangaben, die ihnen selbst und ihren Untertanen mengenmässig präzisieren, was Sache ist. Bereits Mao Tsetung forderte 1957 «Lasst 100 Blumen blühen! Lasst 100 Schulen miteinander wetteifern!», um seinem Volk mitzuteilen, dass ein gewisses Mass an Kritik und Pluralität auch im totalitären Staat erwünscht sei. Quantitativ bedeuteten die «100 Blumen» recht vage einfach «viele». Sie erforderten ebenso wenig eine exakte Zählung wie die Menge der Menschen, die seine Aufforderung allzu wörtlich nahmen und danach auf Nimmerwiedersehen in irgendwelchen Umerziehungslagern verschwanden.

Sein später Nachfolger Xi Jinping, der sich während des 20. Parteitages der kommunistischen Partei von vergangener Woche in Sachen unbegrenzten Führungsanspruchs, Alleinherrschaft und Personenkults sehr direkt in die Nachfolge Maos einordnete, bevorzugt demgegenüber kleinere, dafür aber präzise verifizierbare Mengen. «2 Etablierungen» wurden durch die 2300 Delegierten in die Parteiverfassung aufgenommen, nämlich einerseits betreffend die Person von Xi Jinping und andererseits betreffend dessen «Ideen für den Sozialismus». Ergänzend traten «4 Bewusstseinsbereiche» dazu, welche die Führungsclique künftig auf Loyalität, politische Integrität, Unterstützung der Führung und Einhaltung der Parteilinie verpflichten – lauter Synonyme eigentlich, 1 zusammenfassender Bewusstseinsbereich hätte es auch getan.

Doch damit nicht genug. «4 Selbstvertrauen» waren den Loyalen und Integren überdies wichtig, womit die Parteilinie, deren Theorien, der spezifisch chinesische Sozialismus und die chinesische Kultur gemeint sind. Und zu guter Letzt legten sie Wert auf «2 Erhaltungen», womit der Absolutismus von Xis Führungsanspruch sowie seine zentralistische Steuerungsallmacht auf alle Zeiten hinaus befestigt werden sollen.

Xi selbst sprach in seiner Eröffnungsrede vom vorletzten Sonntag von «1 China», womit er seine Vision der Wiedervereinigung Chinas mit Taiwan bekräftigte (und dabei nicht zu sagen vergass, dass militärische Gewalt eine Option sei), und, weil er grad bei den tiefen Zahlen war, von «0 Covid», wobei er sich auch von volkswirtschaftlichen Einbussen nicht beirren lassen werde.

Wenn er sich hierin nur nicht verrechnet. Weshalb, um alles in der Welt, verlässt Xi den Erfolgskurs, den China seit Deng Xiaoping eingeschlagen hatte? Es war (bis zur Covid-Krise) der Kurs eines rigiden Parteiapparates und zugleich einer kapitalistischen Wirtschaft von geradezu atemberaubender Wachstumsdynamik. Es war die Erfolgsgeschichte eines Staates, dem die stürmische Wirtschaftsentwicklung bei gleichzeitiger Disziplinierung der eigenen Bevölkerung gelungen war – so sehr, dass man sich im Westen verwundert die Augen rieb und sich fragte, wie demokratische Modelle hier noch mithalten könnten. Es war die Vision von den neuen Seidenstrassen, eines weltumspannenden Netzes von Verkehrswegen, Handelsströmen, Überseehäfen, dem die USA nichts als Rüstungsausgaben und Stützpunkte entgegenhielten. Und es war der Aufstieg Chinas zu einer neuen Supermacht – und zwar, notabene, mit friedlichen Mitteln. Nochmals: Weshalb verlässt China diesen Erfolgskurs, um dem Willen von 1 Mann zu entsprechen?

Weil die Chinesinnen und Chinesen dies wünschen? Gewiss nicht. Sondern weil dieser Eine so clever war, sich die Strukturen des rigiden Parteiapparates Schritt für Schritt persönlich nutzbar zu machen. Und weil er, als Konsequenz der Paranoia, die mit der Einsamkeit des Alleinherrschers verbunden ist, den Eindruck hat, dass ihm die Kontrolle von 1400 Millionen Chinesen zweckdienlicher sei als die Kontinuität einer Entwicklung, welche dem chinesischen Mittelstand in den vergangenen 30 Jahren Aufstieg und Wohlstand geboten hatte. Denn die brutalen Covid-Massnahmen sind nichts anderes als Ausdruck der Totalüberwachung.

Der Alleinherrscher konzentriert sich auf sich selbst. Der Zynismus, mit welchem er indigniert zur Kenntnis nahm, wie sein Vorgänger Hu Jintao von seiner Seite entfernt wurde, lässt erschauern. Xi treibt den Kult um seine eigene Person auf die Spitze, wie Mao und die Kaiser längst verblasster Dynastien. Er wird das Reich der Mitte solange regieren, wie es ihm gefällt; die Beschränkung der Amtsdauer ist entfallen. Xi hat Jahrgang 1953.

Wohin die Einsamkeit des Alleinherrschers führen kann, erleben wir dieser Tage am Beispiel Putins, Jahrgang 1952. Hüten wir uns, in Sachen China in die Falle ähnlicher Abhängigkeiten zu tappen, wie uns das am Beispiel Energieversorgung mit Russland passiert ist. Nie sind die Potentaten gefährlicher, als wenn sie vom Wahn gepackt werden, sich ein Kapitel in den Geschichtsbüchern zu sichern. China, das die Häfen von Piräus, Genua, Marseille beherrscht, greift derzeit nach dem Hafen von Hamburg. Bundeskanzler Scholz liess sich von der Bundesregierung gerade noch überzeugen, es sei nicht tunlich, der chinesischen Staatsreederei COSCO 35 Prozent abzutreten. Man einigte sich auf einen Kompromiss von 24,9 Prozent, eine Schwelle, die gerade noch die Sperrminorität verhindert.

Vorsicht ist geboten. Xi Jinping hat über das vergangene Wochenende am 20. Parteikongress seine Maske fallen lassen. Er hat uns die Kälte der Macht spüren lassen, mit welcher er herrscht. Es wäre 1 riesengrosse Dummheit, ihm jetzt noch auf den Leim zu gehen.

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